Maltes Lesebuch
MALTES LESEBUCH

Guten Tag, mein "Lese- und Notizbuch" ist umgezogen. Ich habe es in die modische Form eines Blogs gegossen:

Bonjour, mon "cahier des lectures et des notes" à déménagé. Je l'ai transmis dans la forme modique d'un blog:

Goeiedag, mijn "lees- en notitieboek" is verhuisd. Ik heb het in de modische vorm van een blog gegoten:

Hello, my "readings and notes" section has moved. I have put it into the fashionable form of a blog:

www.woydt.be/blog/


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MALTE WOYDT

PRIVATHOME:    LESEBUCH:    SCHREIBEN

Schreiben

"Das objektive Gedankengut, das sich in einem Buch befindet, ist das, was ein Buch wertvoll macht. Es ist nicht, wie oft geglaubt wird, der Ausdruck der subjektiven Gedanken, der Vorgänge im Kopf des Autors. Viel besser könnte man es als das objektive Ergebnis der subjektiven Gedankenarbeit bezeichnen, einer Gedankenarbeit, die oft darin besteht, daß das Niedergeschriebene immer wieder verworfen und verbessert wird. In diesem Fall kann man eine Art von Rückkoppelung feststellen zwischen den subjektiven Denkvorgängen, der Denkarbeit auf der einen Seite und den objektiven, den niedergeschriebenen Gedanken auf der anderen Seite. Der Autor schafft das Werk, aber er lernt von seinem Werk, vom objektiven Resultat seiner Arbeit und insbesondere von seinen fehlgeschlagenen Versuchen.

Natürlich gibt es Autoren, die ganz anders arbeiten, aber man kann bei vielen Autoren sehen, daß die Kopfarbeit am besten kritisiert und verbessert werden kann, wenn man versucht, seine Gedanken zum Zwecke der Veröffentlichung niederzuschreiben.

Aber von der oberflächlichen und irreführenden Theorie, daß ein gesprocheneer oder geschriebener Satz der Ausdruck eines subjektiven Gedanken ist, ist ein unheilvoller Einfluß ausgegangen. Ausdruck heißt auf lateinisch 'expressio', und diese unheilvolle Theorie hat zum Expressionismus geführt. Das ist die noch heute fast allgemein als selbstverständlich angenommene Theorie, daß ein Kunstwerk der Ausdruck der Persönlichkeit des Künstlers ist. Fast jeder Künstler glaubt daran, und das hat die Kunst vernichtet.

In Wahrheit ist der große Künstler ein Lerner, der seinen Geist offenhält, um nicht nur von anderen Werken zu lernen, sondern auch von seinem eigenen Werk, und insbesondere von den Fehlern, die er, wie jedermann, gemacht hat, und auch von dem Werk, an dem er gerade arbeitet. Das gilt vor allem auch für den Autor eines Buches, oder eines Musikwerkes. So wächst er über sich selbst hinaus. Es ist zu wenig bekannt, daß Haydn, als er in der Aula der alten Wiener Universität die Erstaufführung seiner Schöpfung hörte, in Tränen ausbrach und sagte: 'Das habe ich nicht geschrieben.'"

Raymund R. Popper: Bücher und Gedanken: Das erste Buch Europas. In: ders.: Auf der Suche nach einer besseren Welt. 5.Aufl., München: Piper 1990, S.122.