Maltes Lesebuch
          
		  
		  MALTES LESEBUCH
		  
		  
  
		  Guten Tag, mein "Lese- und Notizbuch" ist umgezogen. Ich habe es in die
		  modische Form eines Blogs gegossen:
		  
  
		  Bonjour, mon "cahier des lectures et des notes" à déménagé.
		  Je l'ai transmis dans la forme modique d'un blog:
		  
  
		  Goeiedag, mijn "lees- en notitieboek" is verhuisd. Ik heb het in de
		  modische vorm van een blog gegoten:
		  
  
		  Hello, my "readings and notes" section has moved. I have put it into
		  the fashionable form of a blog:
		  
  
		  www.woydt.be/blog/
		  
 
  
        
		 | 
	
	
	.
	 | 
		
			
  
PRIVATHOME:
  
LESEBUCH:
  
HERAKLES
 
 
Herakles
  
"Herakles aber zog
  Linos, dem Lehrer, der seinem Schüler weismachen wollte, die einzige Freiheit,
  die es gäbe, sei die Freiheit der Kunst,
  den Hut so hart über die Augen, daß ihm das Nasenbein brach, und
  als der Magister weiterhin behauptete, die Kunst sei zu allen Zeiten unabhängig
  von den jeweiligen Wirrnissen zu genießen, steckte er ihn kopfüber
  in die Jauchegrube und ertränkte ihn, zum Beweis, daß waffenlose 
  Schöngeistigkeit einfachster Gewalt 
  nicht standhalten kann. ...
  Er
  wollte es nicht glauben, daß der Terror, der seine Vaterstadt Theben in 
  Bann hielt, dem mystischen Fürsten Erginos zuzuschreiben sei, den niemand 
  je gesehen hatte, denn warum rülpste und kotzte Kreon, der König, 
  und der gesamte Hofstaat, vor Übersättigung, warum trugen die Damen 
  des Adels jeden Tag neue Kleider, wenn es über ihnen einen Gewaltherrscher 
  gab, der unaufhörlich Abgaben verlangte. Um zu zeigen, daß es einzig 
  und allein die Edelblütigen waren, die mit falschen Vorspiegelungen 
  die unwissende Menge der Arbeitenden niederhielten und sie, während sie 
  deren Obleute und Meister bestochen und gekauft hatten, bei Androhung unerhörter 
  Strafen zur Schufterei zwangen, begab sich Herakles zur Insel der Marmorbrüche 
  und holte sich von dort ein respekteinflößendes Gefolge. ... Mit 
  den Befreiten zog Herakles in Theben ein und verbreitete die Kunde, daß 
  er Erginos gevierteilt und den Raben zum Fraß vorgeworfen habe. ... Da 
  weder Kreon noch seine verschlagensten Philosophen und Priester das Ungetüm, 
  das so lange über sie regiert 
  hatte, vorweisen konnten, mußte Herakles auch von höchster Stelle 
  her gefeiert werden, und Kreon gab ihm zur Vermählung seine Tochter Megara 
  ... Dies war die Zeit der Umnachtung des Herakles, sagte Heilmann ... Er merkte,
  betört von den Reizen der Megara, nicht einmal, daß seine Leibgarde 
  ermordet und verscharrt worden war, kein Warnruf drang über die Schloßmauern 
  zu ihm hinauf, und als er zum ersten Mal wieder, in seidenem Gewand, durch die 
  Tore hinausging in die Stadt, in der, wie er meinte, die Epoche des Wohlstands 
  begonnen hatte, fand er nur Bettler und verwilderte
  
  Kinder,
  die Steine nach
  ihm warfen, und ein paar vorbeigehende Handwerker wandten sich, als er nach 
  ihnen rief, von ihm ab., Ein einziger Augenblick 
  der Unaufmerksamkeit konnte alles Erreichte zunichte machen, und nun waren Monate, 
  vielleicht sogar Jahre vergangen, 
  die er untätig verbracht, der Gegner aber genutzt hatte. ... Wie hatte 
  Herakles damit rechnen können, fragten wir uns, am Kanal, gelehnt ans rußige 
  Eisengeländer, mit Knäufen, weißbefleckt vom Vogelkot, daß 
  andere schon dagewesen wären, das von ihm Begonnene weiterzuführen, 
  wie hatte er glauben können, daß eine vereinzelte Tat als Beispiel 
  genügte, wie die Umwälzung zu erreichen sei. Er heulte vor Zorn, sagte 
  Heilmann, er tobte im Schlafzimmer, weniger, 
  weil dies ihm widerfahren war, ihm, der sich doch zu wehren verstand, sondern 
  weil er die unzähligen anderen, die schwächer waren als er, und ohne 
  Einfluß, im Stich gelassen hatte. Ehe er sich herauskämpfte aus den 
  Spießen, die ihn umzingelten, erschlug er seine Frau 
  und auch die Kinder, die sie ihm geboren hatte, alles, was ihn an die Oberen 
  band, jede Verwandtschaft mußte ausgelöscht werden, hier gab es keine 
  Versöhnung, und wir stimmten seiner Raserei zu, als grade ein Trupp der 
  schwarzen Totengräber, 
  den Totenkopf an der Mütze, gröhlend vorbeizog. ... Seine Versäumnisse 
  und die veränderte Lage im Land begreifend, mußte er sich jetzt einem 
  langwierigen Plan zuwenden, mit dem er hoffte, das System 
  der Mißgunst, der Herrschsucht und des Meuchelmordes ... zu überwinden.
  ... Als Herakles dann aus dem Gebirge von Erymanthos kam mit einem eingefangenen 
  Eber, das gewaltige schaumtriefende Tier, an den Hinterbeinen hochgehoben, vor 
  sich her in den Palast führte und in den Thronsaal, wo der von Gott 
  gesandte König sich bebend vor Furcht in einen Tonkrug verkroch, gab es, 
  bei aller Not, ein großes Gelächter, und manche begannen zu ahnen, 
  was Herakles beabsichtigte. ... Zwar waren immer noch viele der Ansicht, daß 
  all das Wild, das er gejagt, all die Herden von Vieh, die er eingebracht hatte, 
  doch nie ihnen, sondern immer nur den höfischen Herrn zugute kamen, andre 
  aber machten sich auf, um es Herakles gleichzutun und die Gegenden jenseits 
  des Archipelagos zu erkunden. Eine Zeit der 
  Meeresfahrten, der umwälzenden 
  Entdeckungen brach herein. Während die Aristokraten ihre Denker zu 
  immer größeren Anstrengungen trieben, um sich die fernen Taten 
  des Herakles zu ihrem Vorteil ausmalen 
  zu lassen, sprachen die
  Eigentumslosen von ihm als dem ihren. ... die Arbeitenden
  [bereiteten] sich auf den Tag vor, an dem er wieder unter ihnen sein würde 
  ... Noch wüteten die Folterknechte, und die Kerker füllten sich mit 
  jedem, der willkürlich der Unzufriedenheit verdächtigt wurde. Wo aber 
  die wahren Gefangenen saßen, zeigte sich eines Morgens, 
  vor Sonnenaugfgang, als herakler in Theben eintraf, in Begleitung eines riesigen 
  Hundes, bei dessen Geheul alles, was ein festes Haus hatte, sich unter den Betten 
  verkroch, während die in den Hütten, oder die, die unter freiem Himmel 
  nächtigten, aufhorchten und ihm entgegenliefen, als hätte sie eine 
  frohe Posaune gerufen. Den seit altersher als unangreifbar dargestellten Wächter 
  der höllischen Ordnung hatte Herakles, bei seinem letzten Vorstoß 
  ins Innre des Weltbaus, mit Leichtigkeit, singend, wie gesagt wurde, aus den 
  erdigen Tiefen raufgezogen ... die Bewohner von Theben ... sahn, auf welch dürren 
  räudigen Beinen sich die Herrschaft von Betrug und Lüge aufrecht hielt
  ... Zuende also mit der Festschmiedung ans Leiden für den, der das Neue
  dachte, offen alles in Theben, in Mykene, fürs Zeitalter der Gerechtigkeit. 
  ... [Aber] nicht Frieden folgte nun, davon hätten wir doch gehört, 
  vielmehr brachen weitere Feldzüge an,
  Kriege, umfassender als je zuvor.
  Herakles ließe sich jetzt jedoch nicht mehr wegdenken 
  von der Seite der Versklavten, sagte Heilmann, beim Kreischen der Räder 
  einer vollbeladenen Straßenbahn, die, vom Alexanderplatz kommend, in die 
  Rosenthaler Straße einbog, er habe verdeutlicht, daß allen Zaubersprüchen 
  begegnet, daß alles sagenhafte Getier überwunden werden konnte, und 
  ein Sterblicher sei es, der solches vermochte. ... Und doch, sagte Heilmann 
  nach einer Weile, als wir ins zerschlißne, von gekrümmten Titanen
  gestützte Hoftor traten, und doch kam er um unter furchtbarer Pein, niemandem
  gelang es, ihm das mit dem vergifteten Blut des Nessos getränkte Hemd von 
  der Haut zu reißen, und ihn daran zu hindern, sich im Wahnsinn des Schmerzes
  in den immer brennenden Scheiterhaufen zu werfen, auf dem Berg Oite."
  
Peter Weiss: Die
  Ästhetik des
  Widerstandes.
  Werke in sechs Bänden, Dritter Band, Frankfurt
  (Main): Suhrkamp 1991: S.20-25.
  
 
 
  
		
			 |