MALTE WOYDT

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Ökologische Kreisläufe

“Nach einem Satz von Heisenberg ist die Natur ‘immer ganz anders, als wir uns vorstellen. Das liegt an unseren Fragen. Denn die Natur kann nur so antworten, wie wir fragen’. Wer sie nach Gesetzen fragt, dem wird sie mit Gesetzen antworten, wer nach dem Zufall fragt, dem wird sie mit Zufall antworten, und wer nach Kreisläufen fragt, dem wird sie mit Kreisläufen antworten. … Es [ist] wissenschaftlich gesprochen, nicht möglich …, die Natur unter einem einzigen Prinzip … zu beschreiben.

Gerade das aber … ist konstitutiv für das Denken der naturalistischen Ökologie. Sie bildet die Brücke zur biologistischen Interpretation der Beziehungen zwischen Mensch und Natur. … ‘Ordnung’, in diesem Fall die Ordnung der ‘natürlichen Kreisläufe’, [ist] ganz sicher nicht eine Eigenschaft der Materie. Sie muß ihr von außen auferlegt werden. Theorien, wissenschaftliche Erklärungssysteme, schaffen die Welt, die sie dann beschreiben oder kritisieren. …

Die Natur des Menschen ist die Kultur. Eine Sichtweise, die heute dieses kulturelle Moment übersieht und nur auf Lehren der Natur aus ist, verfällt dem Mythos.

Die Vorstellung, daß sich die gesellschaftliche Ordnung an der Natur zu orientieren habe, nennt man Biologismus. … Als Sozialdarwinismus und Rassenbiologie [wurde er] die Basis der NS-Doktrin … und [fand] in der arisch-deutschen Herrenrasse ihren mörderischen Exekutor …, der ganz Europa in einem Meer von Blut ertränkte. …

Vielfalt bedeutet in dem einen System etwas völlig anderes als in dem anderen. … In resistenten Systemen ist Vielfalt ein Vorteil, in konstanten Systemen nicht; dort macht Vielfalt verletzbar. … Ein tropischer Regenwald beispielsweise ist so stabil, weil es einer so langen Zeit bedurfte, bis er als Ökosystem in dieser Form bestand. Er ist stabil im Sinne von konstant, aber nicht von resistent gegenüber Eingriffen. Bereits kleine Eingriffe in sein ‘Gefüge’ können ihn zusammenbrechen lassen. … Was folgt daraus für eine ökologisch geleitete Politik? Daß wir Vielfalt herstellen und schützen wollen, Vielfalt der Arten wie Vielfalt der kulturelle und sozialen Lebensformen, der individuellen Lebensentwürfe, und zwar um ihrer selbst willen … und nicht, weil es die Gesetze der Natur uns das ‘lehren’. Sie tun es nicht. …

Kreisläufe sind eine von vielen möglichen Vorstellungen, die sich die … die Menschen von der Natur machen können. Kreisläufe sind nicht ‘das Prinzip’ der Natur; sie sind nicht das grundlegende Ordnungsprinzip der Materie. Warum also sollten wir die Wirtschaft unserer Gesellschaften gerade nach diesem Prinzip einrichten? …

Alle von der industriellen Dynamik erfaßte und infiltrierte Natur ist … Kulturprodukt – wie z.B. der sterbende deutsche Wald, die Flüsse, die Binnengewässer usw. Auch in dieser Perspektive gilt: Die Natur des Menschen ist Kultur.”

Jochen Reiche: Ökologie und Zivilisation. Der Mythos von den natürlichen Kreisläufen” In: “Die Linke neu denken”. Berlin: Wagenbach 1985, S.51-59.

Abb.: Hideaki Shibata und Kazuya Matsunaga (“Yodogawa Technique”): Chinu – the Black Sea Bream of Uno, 2010, im Internet.

08/10/2007 (20:55) Schlagworte: DE,Lesebuch ::

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