MALTE WOYDT

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Populismus 3

Populismus … kann häufig als demokratisch, gar radikaldemokratisch erscheinen. er kann bisweilen auch positive Effekte für die Demokratie zeitigen. Entscheidend ist jedoch, dass Populismus an sich nicht demokratisch, ja der Tendenz nach zweifelsohne antidemokratisch ist. …

Populisten behaupten ‘Wir sind das Volk!’ Sie meinen jedoch –  und dies ist stets eine moralische, keine empirische Aussage (und dabei gleichzeitig eine politische Kampfansage): ‘Wir – und nur wir – repräsentieren das Volk.’ … Wer sich ihnen entgegenstellt … gehört automatisch nicht zum wahren Volk. …

Mein Vorschlag wäre, erst einmal landläufige, aber letztlich irreführende Kriterien zur Bestimmung von Populismus aus dem Weg zu räumen. …

(1) ‘Anti-Establishment-Attitüde‘ greift zu kurz. Zum Anti-Elitären muss noch das Anti-Pluralistische hinzukommen. …

(2) Wer auf der Grundlage moralischer Absolutheitsansprüche agiert, sich jedoch nicht über das Kollektivsubjekt Volk legitimiert, ist ebenfalls kein Populist – man denke an islamistische Terroristen … [die] das Volk gerade nicht als … ‘moralisch rein’, sondern als seinerseits korrumpiert und erweckungs- oder gar erlösungsbedürftig [sehen]. …

(3) Die Unterscheidung zwischen Populismus und Demokratie [deckt] sich [auch] nicht mit der zwischen Extremismus und einer wie auch immer definierten liberalen Mitte …: Vor allem in Mittel- und Osteuropa haben politische Unternehmer mit relativ moderaten politischen Positionen manchmal gleichzeitig einen Alleinvertretungsanspruch angemeldet und alle politischen Mitbewerber als illegitim abqualifiziert. …

(4) Ja man kann sogar mit liberalen Werten wie Freiheit und Toleranz populistische Politik betreiben – bestes Beispiel ist hier Geert Wilders, der diese Werte [allerdings] allein benutzt, von oben herab zu dekretieren, wer zum wahren niederländischen Volk gehört und wer nicht. …

[5] Vor allem liberale Beobachter machen es sich zu einfach, wenn sie Populismus anhand scheinbar eindeutiger soziologischer Kriterien dingfest machen wollen. …

[6] Und dann stellt sich noch ein weiterer Gedanke fast automatisch ein: Bei populistischen Politikern handele es sich stets um große Vereinfacher, … der Populismus sein einfach, so Ralf Dahrendorf enmal, die Demokratie jedoch komplex. Diese Diagnose ist freilich selbst nicht sonderlich komplex …

Eine besondere Versuchung besteht darin, die politische Herausforderung durch vermeintliche Populisten sofort als eine Art kollektiven Therapiefall zu behandeln. Natürlich müsse man die Ängste ‘der Leute’ ernst nehmen – was sagen, wird dann aber immer nur als Symptom irgendwelcher Sozialpathologien interpretiert, nicht als eventuell doch bedenkenswerte Systemkritik. Wer genau hinhört, hört hier vielleicht noch ein Echo alter, vordemokratischer Vorurteile über die ‘Pöbelherrschaft’ oder emotionalisierte Massen, die zum Selbstdenken grundsätzlich nicht in der Lage sind. Dieser vermeintlich fürsorgliche, de facto aber vor allem herablassende Gestus liberaler Eliten wird echten Populisten in Wahrheit nur weiteren Zulauf verschaffen. …

Wähler[n] populistischer Parteien … muss es … gar nicht sonderlich schlecht gehen, man muss persönlich gar nicht von Angstanfällen geplagt werden – entscheidend ist vielmehr die Einschätzung, mit dem Land als Ganzem gehe es bergab, die Eliten kümmerten sich nicht oder seien inkompetent …: Eliten machten eine ungerechte Politik, die Zukunft der Kinder werde verspielt, internationale Organisationen hätten zu viel Einfluss … ‘Wir wollen unser Land zurück!’ …

Populismus … ist eine ganz bestimmte Politikvorstellung, laut der einem moralisch reinen, homogenen Volk stets unmoralische, korrupte und parasitäre Eliten gegenüberstehen … [die] eigentlich gar nicht zum Volk gehören. … [Beispiel: Wahre Finnen] …

Insbesondere in der Vorstellungswelt von Rechtspopulisten gehen die Eliten zudem eine unheilige Allianz mit parasitären Unterschichten ein, die ebenso nicht dem wahren Volk zuzurechnen sind. … In Osteuropa … [werden] die Roma angeblich primär von postkommunistischen, proeuropäischen Eliten unterstützt … [Beispiel: Jobbik] …

Populisten interessieren sich gar nicht für die Partizipation der Bürger an sich … [Beispiel: Blocher] … es [geht] um die symbolische Repräsentation des ‘wahren Volkes’ (das man gar nicht mehr direkt befragen muss) … – mehr Volksgeist als volonté générale. … Ein Populist, der eine Wahl verliert, … trifft eine für die Demokratie fatale Unterscheidung zwischen einem empirischen und einem moralischen Wahlergebnis. … [Beispiel: Orbán] … Der Sieg der ‘Volksverräter’ war eigentlich nur empirisch möglich, und die Empirie rangiert in der Vorstellungswelt der Populisten immer hinter der Moral. … [Beispiel: López Obrador] …

Es mag nun scheinen, als lebten Populisten allesamt in einer Art politischen Fantasiewelt – ein Gedanke, der auch zu der weitverbreiteten Meinung passt, Populisten seien grundsätzlich unfähig zu regieren …, Populisten würden unweigerlich ‘entzaubert’, sobald sie in der Verantwortung stünden … So oder so löse sich das Problem von alleine.

Auch mit dieser Diagnose machen es sich liberale Demokraten zu einfach – und wiegen sich in einer politischen Sicherheit, die es so nicht gibt. Zum einen ist es sehr wohl möglich, an der Macht zu sein und gleichzeitig Eliten zu kritisieren – nämlich die alten … [Beipiele: Chávez, Erdoğan, Kaczyński] … Mehrheiten können sich wie verfolgte Minderheiten verhalten … Die Krise wird zum Dauerzustand stilisiert, Politik findet nur noch im Modus des permanenten Belagerungszustandes statt. … [Beispiele: Chávez, Correa, Morales] … Populisten [wenden] ganz besondere Herrschaftstechniken an: … Vereinnahmung des gesamten Staates; Loyalitätsbeschaffung durch Massenklientelismus; Unterdrückung der Zivilgesellschaft und … der Medien. … Das Spezielle an Populisten ist …, dass alle diese Maßnahmen … ganz offen und im Namen scheinbar demokratischer Ideale umgesetzt werden können. … Sie sind ja ihrem Selbstbild nach die einzigen legitimen Vetreter des Volkes – und warum sollte das Volk seinen Staat nicht in Besitz nehmen … ?

Daraus folgt auch, dass Enthüllungen über Klientelismus und Korruption den Populisten nicht automatisch schaden. Aus Sicht ihrer Unterstützer haben die Populisten ja alles für sie getan. … [Beispiele: Haider, Bossi] …

In populistischen Regimen ist jeder Versuch, den Alleinvertretungsanspruch der Populisten infrage zu stellen, für diese eine enorme Gefahr. Man denke etwa an den ‘Stehenden Mann’ auf dem Taksim-Platz in Istanbul … der … das Demonstrationsverbot [umging], denn er stand ja einfach nur alleine da und sagte nichts (wobei es ihm später viele andere gleichtaten und stundenlang auf dem Platz ausharrten …). … Still zu stehen reichte aus, um den populistischen Alleinvertretungsanspruch zu erschüttern und in einer populistischen Regierung so etwas wie Panik auszulösen. … Wer Populisten effektiv herausfordern will, muss diese moralische Dimension des populistischen Weltbildes verstehen und ernst nehmen. Liberale Demokraten geben sich einer Illusion hin, wenn sie glauben, man müsse nur ganz rational argumentieren

Populisten … [müssen] … das wahre Volk aus der empirischen Gesamtheit der Bevölkerung … herauspräparieren und dekretieren … ‘Ihr gehört eigentlich gar nicht dazu’. Das darf und muss man kritisieren … Nur welches stichhaltige normative Argument können Demokraten hier eigentlich ins Feld führen … Man sollte rundheraus zugeben, das es eine weithin akzeptierte dezidiert demokratische Theorie zur Bestimmung des Demos (und auch zur territorialen Aufteilung der Erde) derzeit schlicht nicht gibt … Fragen der Zugehörigkeit und nach der Definition des Demos [sind] immer wieder neu auszuhandeln. …

Solange wir in repräsentativen Demokratien leben, wird es Populismus geben. Repräsentation ist kein an sich demokratisches Prinzip. … Es ist schlicht nicht möglich, die Konfliktlinien innerhalb einer Gesellschaft objektiv richtig abzubilden, aber ein halbwegs intakter politischer Prozess ermöglicht es, gesellschaftlichen Pluralismus in das politische System zu übersetzen. … Auch wenn die Erwartungen, so etwas wie kollektive Autonomie herstellen zu können, immer wieder weitgehend enttäuscht werden, ist unsere repräsentative Demokratie auch nicht nichts. … Vor allem sollte man das Feld nicht Populisten überlassen, die so tun, als könnten sie das ursprüngliche Versprechen der Demokratie auf kollektive Autonomie einlösen. Sie können es nicht.”

aus: Jan-Werner Müller: Was ist Populismus? Frankfurt/Main: Suhrkamp 2016, S.14, 18, 19, 26, 27, 29, 30, 31, 34, 42, 43, 44, 47, 48, 63, 64, 67, 68, 69, 70, 71, 89, 90, 92, 93, 94, 134, 135.

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06/12/2016 (22:10) Schlagworte: DE,Lesebuch ::

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