MALTE WOYDT

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Vernünfteln

“Die Sanktionen sollen Putin und sein Umfeld treffen, nicht die arbeitende Bevölkerung und erst recht nicht die Armen… Eine Rezession könnte Putin am Ende sogar nutzen und die Vorbehalte vieler Russen gegen den Westen noch vertiefen… – für all die Gründe, die Politikerinnen und Manager in diesen Wochen erfinden, um der ‘Zeitenwende’ keine Konsequenzen folgen zu lassen, hat Immanuel Kant den schönen Begriff des ‘Vernünftelns’ erfunden: Der Mensch ist von Natur aus, sprich ‘radikal böse‘, insofern er als Mensch all seinen Erfindungsreichtum nutzen kann, um mit immer neuen Gründen und Einsprüchen sein Gewissen still zu stellen – und seine Willensfähigkeit, um gegen das ‘moralische Gesetz’ zu verstoßen.

Aber wir müssen doch mit Russland ‘im Gespräch’ bleiben? … Gewiss. … Wohl aber geht es jetzt entschieden darum, Putins Russland zu schwächen und die Ukraine in die Lage zu versetzen, es möglichst zu besiegen. Dann sehen wir weiter.”

aus: Dieter Schnaas: Tun wir genug dafür, dass Putin diesen Krieg verliert?, Zeit Online, 3.4.22, im Internet.

04/22

03/04/2022 (19:01) Schlagworte: DE,Lesebuch ::

Tugend

“Die Tugend … setzt uns durch Handlungen sogleich in eine solche Stimmung, daß wir nicht nur die Werke bewundern, sondern auch denen, die sie verrichtet haben, nacheifern. … Denn das Gute zieht uns auf eine wirksame Art an sich und erweckt sogleich einen tätigen Entschluß; es bildet den Charakter dessen, der es betrachtet, nicht durch Nachahmung, sondern bewirkt in ihm den festesten Vorsatz schon durch bloße Betrachtung des Werkes.”

aus: Plutarch: Perikles. In: Lebensbeschreibungen, Übersetzung von Kaltwasser, bearbeitet von Hanns Floerke, München/Leipzig: Müller 1913 (Griechisches Original vor dem Jahr 120), Bd.1, S. 392.

04/22

02/04/2022 (2:07) Schlagworte: DE,Lesebuch ::

Haustiere

“Als einst Cäsar in Rom einige reiche Ausländer erblickte, die junge Affen und Hunde im Busen mit sich herumtrugen und auf das zärtlichste behandelten, fragte er sie, ob denn bei ihnen die Weiber keine Kinder zur Welt brächten, und gab mit dieser, einem Fürsten sehr anständigen Rede denjenigen einen Verweis, welche die uns angeborene Liebe und Zärtlichkeit, auf die nur Menschen Anspruch haben, an die Tiere verschwendeten. So kann man ja wohl auch, da unsere Seele von Natur einen gewissen Trieb zu lernen und zu sehen besitzt, mit allem Rechte diejenigen tadeln, welche diesen Trieb auf Dinge, die zu sehen oder zu hören der Mühe nicht wert ist, wenden und darüber das Gute und Nützliche hintenansetzen. …”

aus: Plutarch: Perikles. In: Lebensbeschreibungen, Übersetzung von Kaltwasser, bearbeitet von Hanns Floerke, München/Leipzig: Müller 1913 (Griechisches Original vor dem Jahr 120), Bd.1, S. 390.

Abb.: Stefanie Oberhoff / Schauspielhaus Bochum: Moondog, 2016, documenta15.

04/22

02/04/2022 (2:02) Schlagworte: DE,Lesebuch ::

Aufrüstung

“Wozu [könnte] eine beispiellose konventionelle Aufrüstung Westeuropas dienlich sein …, wenn doch konventionelle Kriege zwischen den Atommächten gar nicht mehr führbar sind ohne Vernichtung der Welt, die verteidigt werden soll? Gibt es die atomare ‘Abschreckung’ oder nicht? Einmal ganz abgesehen davon, dass die Kriegsexperten glaubhaft versichern, die Feuerkraft der Unsrigen sei derjenigen des östlichen Feindes schon jetzt zehnfach überlegen.

Nichts gegen einen schönen Konjunkturschub nach zwei Jahren bitterer Coronanot! Aber dass der Regierung dazu nichts Besseres einfällt als ein 100 Milliarden-Rüstungsprogramm, hätte vor 25 Jahren zum Massenhungerstreik sämtlicher Landeskirchen, Gewerkschaften, Universitäten und Biobauernhöfe geführt. Und zwar zu Recht.”

aus: Thomas Fischer: Unser Krieg: Nur die Wahrheit! Spiegel Online, 1.4.22, im Internet.

04/22

02/04/2022 (0:56) Schlagworte: DE,Lesebuch ::

Gutsein

“Die Glaubhaftigkeit des derzeitigen Abscheus vor völkerrechtswidrigen Kriegen relativiert sich ein bisschen, wenn man bedenkt, dass Katar bis 2017 Teil der von Saudi-Arabien geführten Interventionstruppen im Jemen war, die dort seit 2015 Kriegsverbrechen begehen, und nur wegen Verdachts der direkten Finanzierung unter anderem des IS ausgeschlossen wurde. Infolge des grausamen Aggressionskriegs sind inzwischen 90 Prozent der Zivilbevölkerung von Hunger, Durst und Seuchen bedroht, Zehntausende getötet, vier Millionen Flüchtlinge leben im Elend. Die Bundesregierung genehmigte vom Beginn des Kriegs an jährlich steigende Waffenexporte an kriegsbeteiligte Staaten, im Jahr 2020 für mehr als eine Milliarde Euro. Dies, am Rande, zur Rechtssehnsucht. …”

aus: Thomas Fischer: Unser Krieg: Nur die Wahrheit! Spiegel Online, 1.4.22, im Internet.

04/22

02/04/2022 (0:44) Schlagworte: DE,Lesebuch ::

Rußland 1

“Willst du als Rekrut überleben, musst du zuerst zum Sklaven werden, deine Menschenwürde fahren lassen. Später wirst du von einem Sklaven zu einem Herrn, nun bist du an der Reihe, die Neuen zu prügeln, ihnen in die Stiefel zu pissen, sie eine mit Schuhwichse beschmierte Brotscheibe essen zu lassen, ihnen die von zu Hause zugeschickten Lebensmittel wegzunehmen.

Die meisten russischen Männer absolvieren diese Sklavenausbildung und tragen die erworbenen Fähigkeiten und Fertigkeiten in jede Familie. Die Brutalität in Alltagskonflikten in meinem Land ist erschreckend. Toleranz ist so gut wie unbekannt. …

Monatlich starben (in der Friedenszeit!) durchschnittlich 88 Soldaten und Offiziere, das macht jährlich 1064 Soldaten, 276 von ihnen durch Selbstmord und 16 durch physische Misshandlungen der Vorgesetzten und anderer Soldaten.

Das waren die Zahlen aus offenen Quellen. Später begann die Putin’sche Armeereform. In den letzten Jahren wurden solche Daten … geheim gehalten. …

Es war gang und gäbe, dass Kommandanten an tschetschenische Rebellen Waffen und Informationen verkauften, mit anderen Worten: das Leben ihrer eigenen Soldaten.

Der bekannte Journalist Arkadi Babtschenko, der selber in Tschetschenien gekämpft hatte, formulierte den berühmt gewordenen Grundsatz der Soldatenmoral in der russischen Armee: ‘Deine Heimat wird dich immer im Stich lassen, mein Sohn, immer.’ …

Was die Kriegsführung in der Ukraine betrifft, so gilt für die russische Armee die gleiche bewährte Taktik wie in allen früheren Kriegen: unermüdlich Soldatenmassen zu verfeuern. Russland hat einen Vorteil, der der gesamten zivilisierten Welt vorenthalten bleibt: Putin kümmert sich nicht darum, wie viele Tausende oder Zehntausende Soldaten er in der Ukraine opfert. …

Putin lehnte das Angebot des IKRK ab, die Leichen russischer Soldaten aus der Ukraine nach Russland zu überführen. Das ist alles, was man über die Beziehungen zwischen der Macht und dem Fußvolk in meinem Land wissen muss.”

aus: Michail Schischkin: Hungern, leiden, fliehen: Putins Armee ist eine Sklavenschule, Tagesspiegel Online, 30.3.22, im Internet.

03/22

30/03/2022 (23:32) Schlagworte: DE,Lesebuch ::

China 4

“Die USA verlieren relativ gesehen an Bedeutung, weil China rasant aufsteigt, sie verlieren aber nicht im absoluten Sinn. Die USA sind immer noch der wichtigste Markt, haben die kreativste Bevölkerung, stehen in der Wertschöpfungskette zwei Stufen über China. Chinesische Ökonomen oder Wissenschaftler sehen das ganz klar. Ich warne meine Landsleute immer wieder: Selbst wenn China zur Volkswirtschaft Nummer eins aufsteigt, bedeutet das nichts.

1820 war China die Nummer eins und erwirtschaftete ein Drittel des Welt-BIP. Die westeuropäischen Großmächte kamen zusammen auf sieben Prozent. Zwanzig Jahre später zwang das britische Imperium China in die Knie.”

aus: Zheng Yongnian: Grenzenlose Freundschaft? Interview durch Xifan Yang, Zeit Online, 18.3.22, im Internet.

03/22

18/03/2022 (19:13) Schlagworte: DE,Lesebuch ::

Politikunfähigkeit

Putin ist Putin, und er hat nie vorgegeben, etwas anderes zu sein als Putin. Kein Despot muss sich die Mühe machen, den Westen zu täuschen, der Westen täuscht sich schon selbst. …

Wo war die breitere gesellschaftliche Debatte darüber, wie abhängig wir uns von Putin machen dürfen? Es gab tatsächlich keinen Plan B für den Katastrophenfall, der jetzt eingetreten ist. Wir sind abhängig; sorry, auf jeden Fall bis zum Winter untergraben wir unsere eigenen Sanktionen gegen Putin! Der beste Rat bisher ist, dass wir Strom sparen sollen, es gibt ja auch Pullis.

Es sind eben solche Vorschläge, die zeigen, wie wenig geübt die deutsche Öffentlichkeit noch darin ist, über die Lage der Welt nachzudenken. Heizung an- und ausdrehen, das können wir anscheinend verarbeiten, aber das Wissen über Geopolitik, die Bedeutung Deutschlands oder gar der liberalen Demokratien in der Welt ist kaum ein Thema in den Alltagsgesprächen dieses Landes. Politik ist in Deutschland eine immer kleinteiligere Frage geworden. …

In Deutschland lieben wir den diskursiven Nebel. Vier Talkshows bieten uns die Öffentlich-Rechtlichen regelmäßig, alle haben fast zwei Jahre lang ausschließlich die pandemische Lage beackert. [Das] … lag … [unter anderem] daran, dass es der deutschen politischen Diskurskultur entspricht, das Klein-Klein aufzublasen …

Diese Vorstellung, dass die Bürgerinnen und Bürger im Durchschnitt eben nicht in der Lage wären, strukturelle Fragen in den Blick zu nehmen, Verbindungen zu ziehen und so nach Schaltstellen zu suchen, an denen man Größeres bewegen könnte. Dieses beharrliche Unterschätzen der demokratischen Öffentlichkeit, … man will uns … Ablenkung schenken, daher auch die Behauptung: Der erneute Angriff auf die Ukraine kam ‘plötzlich’ und ‘unerwartet’.

Wer hätte das ahnen können, fragen jetzt einige, als müsste man sich freisprechen. All das, was Putin jetzt tut, kam mit Ansage. Wir müssen anfangen, das kollektive Wegsehen aufzuarbeiten. Die Ermüdung, wenn es um die komplexen politischen Fragen der Welt geht, die Hintergrundinformationen verlangen. Es fehlen Formate, die große politische Themen auf eine Art präsentieren, dass sie zu breiten gesellschaftlichen Debatten werden …

Es braucht mehr kritische Einordnungen, eine höhere Themenvielfalt und den Abschied von der Idee, dass Menschen, nur weil sie ärmer sind oder weniger gebildet, es nicht nötig hätten, auch komplexere Fragen erläutert zu bekommen. Eine andere Ursache für die Verdrängung ist die krankhafte Fokussierung auf die eigenen Befindlichkeiten. …

Die Art, wie wir unsere Gefühle über einen Krieg, den andere führen müssen, in den Mittelpunkt unseres Redens stellen, macht mich stellenweise fassungslos. Kaum rede ich fünf Minuten mit Leuten über die Ukraine, sagt jeder Zweite zu mir: ‘Aber wir müssen auch sehen, dass es uns gut geht.’ Muss man sich bei allem fragen, ob es einem dabei gut geht? Geht es uns denn ‘schlecht’, wenn wir uns anfassen lassen von einem Krieg und seinen unschuldigen Opfern, oder geht es uns eigentlich angemessen?

Es ist, als hätte das Grauen, das Leben eben auch sein kann, keinen Platz mehr in unserer Gesellschaft … Man sucht oder gibt sofort Rat, wie das Leiden wieder weggehen kann, statt eben diesen Leidensdruck als … [Aufgabe] zu erkennen …: Wir leiden an diesem Unrecht und sollten das gesellschaftlich zum Ausdruck bringen, nicht nur Ratschläge erteilen, wie es uns gelingen kann, an dem Elend nicht zu leiden. Uns abzulenken.

Es ist diese merkwürdige Verdrängung und Privatisierung von Leiden, die dazu geführt hat, dass zahlreiche gesellschaftliche Missstände nicht mehr angeprangert werden. Das Problem ist nicht, dass wir zu weich sind, sondern dass auch eine solidarische Öffentlichkeit fehlt, die gemeinsam leidet und den Verantwortlichen deutlich macht, dass man diese Inhumanität nicht dulden will. Strukturelles Denken fehlt. Aber auch der Glaube daran, dass wir gemeinsam etwas ändern können. So verdrängen viele dankbar, schlicht weil sie überfordert und vereinzelt sind.

Es wird in der Ukraine keine Geschichte von David und Goliath geben, auch wenn das eine tröstliche Hoffnung ist. Wir müssen lernen, den Schock zuzulassen, Zusammenhänge tiefer zu verstehen. Statt das Leiden zu privatisieren, ist es Zeit zu fragen: Was müssen wir tun?”

aus: Jagoda Marinić: Diskursive Unfähigkeit, taz online, 16.3.22, im Internet.

03/22

16/03/2022 (20:01) Schlagworte: DE,Lesebuch ::

Erziehung

“ZEITmagazin: Verraten Sie uns bitte zum Schluss noch, was man aus der Hundeerziehung, über die Sie ein Buch geschrieben haben, über den Umgang mit Kindern lernen kann.

Halbrock: Ich bin durch Fernsehsendungen auf das Thema gestoßen. Mich hat fasziniert, wie feinfühlig Menschen geworden sind, um sich in Hundeseelen hineinzuversetzen, und wie das frühere Dominanzgebaren der Menschen den Tieren gegenüber durch respektvolle Kommunikationsmethoden abgelöst worden ist. Dann habe ich einige aktuelle Bücher über Hundeerziehung gelesen und festgestellt, dass man oft nur aus dem ‘Hund’ das Wort ‘Kind’ machen muss. Schon würden viele Leute viele scheinbare Unarten ihres Kindes besser verstehen und Anregungen für sinnvolle Erziehungsmethoden erhalten.”

aus: Gudrun Halbrock: Sehr viele Eltern haben keine Ahnung, was Kinder benötigen. Interview durch Oliver Geyer, Zeit online, 29.9.21, im Internet (hinter Paywall).

Abb.: Dominic Wilcox: World’s First Art Exhibition for Dogs, 19th-20th August 2016, Ugly Duck Gallery, London, im Internet.

03/22

05/03/2022 (14:27) Schlagworte: DE,Lesebuch ::

Putin 2

“Die ganze Weisheit des freien Westens reicht nicht, einen Kremlchef auf dem Kriegspfad zu dechiffrieren. …

Alle politischen Bemühungen, den Konflikt um die Ukraine wenigstens einzuhegen, sind dunkel durchwirkt von einem fundamentalen Nicht-Verstehen dessen, was der Kremlchef bezweckt, warum er tut, was er tut, und wie das Ganze für ihn nutzbringend enden soll. Wobei: Womöglich führt schon das Wort ‘Nutzen‘ in die falsche Richtung, weil es für Wladimir Putin um nichts geht, dem man im westlichen Denken einen messbaren ‘Nutzen’ zuordnen würde.

Misst man … dennoch mit dem politisch-ökonomischen Maß von Kosten und Nutzen, schadet Wladimir Putin sich selbst …: USA und Europäer sind in der Nato so vereint wie lange nicht. Eine eroberte Ukraine ist nicht zu befrieden und erst recht wieder auf dem Weg in den Westen, der zugleich seine Bemühungen verzehnfacht, der Gasabhängigkeit zu entkommen und Russland wirtschaftlich in den Ruin treibt. Das alles stimmt – vorausgesetzt, dass Putin tatsächlich etwas bezweckt, was zu bezwecken der Westen ihm unterstellt. Die Wahrheit ist aber: ob dem so ist, wissen wir nicht, weshalb das Verstörende ja bleibt: Man kann einfach nicht glauben, dass Putin wirklich losschlägt. Aber genauso wenig kann man glauben, dass er einfach kehrtmacht und nicht losschlägt.

Wie sehr Wladimir Putins Forderungen aus dem Rahmen des westlich Denkbaren fallen, ergibt sich, wenn man ein paar Gegenforderungen desselben Kalibers formuliert: sofortige Einführung der Pressefreiheit, eine funktionierende Gewaltenteilung, unabhängige Strafgerichtsbarkeit in Russland – nichts davon kann Putin zugestehen, weil er andernfalls implodiert. … Umgekehrt würde die Nato genauso implodieren, wenn sie die militärischen und politischen Forderungen Putins erfüllt. Sie sind schlicht nicht zumutbar … Aber was, wenn sogar ‘Zumutbarkeit’ zu jenen rationalen Kategorien gehört, die der Kremlchef fortan ignorieren will? Um die nukleare Abschreckung könnte es dann übrigens ebenso geschehen sein. Auch sie ist ein zutiefst rationales Konzept.

… Keiner spricht Putin … Ältere wie junge Kulturtechniken des Westens versagen …, archaisch ist der Geist der Stunde: ein Mann, ein Wille, ein Kommando. …

Die US-Regierung … kommentiert, was sie nicht versteht, laut und live. Damit zieht man augenscheinlich eine Lehre aus dem Jahr 2014: Damals ahnte man wohl auch, was Putin mit der Krim vorhabe, aber schwieg, bis es wirklich passiert war. … Immerhin sichern die USA damit das Narrativ von Schuld und Verantwortlichkeiten ab, doch hilft das naturgemäß erst nach vollzogener Tat. Ob es den Kreml auch von der Tat abzuschrecken hilft, weiß niemand. Q.e.d.

Kurzum: Der Westen scheint nicht mehr die Kraft zu haben, in Sachen Krieg und Frieden Russland Regeln des rationalen Denkens aufzuzwingen. Da geht womöglich etwas zu Ende, und wir alle werden zu Zeugen, ganz gleich, ob es zum Krieg kommt oder nicht. Wer nun insgeheim frohlockt, weil der Westen jahrhundertelang mit dieser Kraft auch viel Böses angestellt hat in der Welt, der möge bedenken: Es gibt kein anderes Konzept, global zu kommunizieren, mithin auch kein Besseres.

Vielleicht sind, was der Himmel verhüten möge, die Chinesen in ein paar Jahren oder Jahrzehnten so weit, ein anderes Konzept in der Welt durchsetzen zu können. Doch in der Zwischenzeit, in diesem sprachverwirrten Zwischenreich, da scheint Wladimir Putin machen zu können, was ihm in den Sinn kommt. Ist dieser Befund kulturpessimistisch? Vielleicht. Der Westen ist jedenfalls dabei, einen Offenbarungseid zu liefern.”

aus: Nikolaus Blome: Niemand spricht Putin, Spiegel Online, 21.02.2022, im Internet.

Abb.: Daria Marchenko: Face of War, 2015, im Internet.

02/22

21/02/2022 (23:15) Schlagworte: DE,Lesebuch ::
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