MALTE WOYDT

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Fundamentalismus 1

“Die Moderne bietet dem, der seiner gewiß ist und die gebotenen Chancen zu nutzen vermag, Voraussetzungen und Spielraum wie keine Epoche zuvor. Sie kann aber dem, der nach Halt, Geborgenheit, Orientierung oder Tröstung fragt, nach einer verwirrenden Fülle hinhaltender Zwischenbescheide am Ende nichts anderes bieten, als stets die Rückverweisung auf ihn selbst. … Sie setzt für die Entfaltung ihrer Möglichkeiten eben jene Ich-Stärke, Orientierungssicherheit und Selbstgewißheit voraus, deren zuverlässige und breitenwirksame Ausbildung sie ohne Absicht fortwährend untergräbt.

Die Widersprüche zwischen den Verheißungen, die ihr geschichtliches Programm enthält, und den Zumutungen, die sie dem Einzelnen aufbürdet, leisten der verzweifelten Regression in Gewißheiten und Tröstungen Vorschub, für die Vernunft keine Gründe nennen kann. Die Versuchung zum fundamentalistischen Rückfall ist die andere Seite im Janusgesicht der Moderne. …

Fundamentalismus ist [die Flucht] … in die Sicherheit und Geschlossenheit selbsterkorener absoluter Fundamente. Vor ihnen soll dann wieder alles Fragen halt machen, damit sie absoluten Halt geben können, genauso wie vor ihnen wieder alles andere relativ werden soll, damit sie der Relativierung entzogen bleiben. Die Argumente, Zweifel, Interessen und Rechte desjenigen, der sich nicht auf ihren Boden stellt, sollen nicht mehr berücksichtigt werden. …

Kultureller Fundamentalismus ist die Flucht des einzelnen aus dem selbstverantworteten Lebensentwurf in die Hörigkeit geschlossener Kollektive. Intellektueller Fundamentalismus ist die Flucht aus dem offenen, unabschließbaren Diskurs in die unbegründbaren und grundlosen Geheimnisse seiner vermeintlichen Fundamente. Politischer Fundamentalismus ist Metapolitik, die aus einer absoluten Mehrheit von oben oder von innen her das Recht beansprucht, den Regeln der Demokratie, des politischen Relativismus, der Unantastbarkeit der Menschenrechte, den Gesetzen der Toleranz, des Pluralismus und der Irrtumsfähigkeit enthoben zu sein. …”

aus: Thomas Meyer: Fundamentalismus. Die andere Dialektik der Aufklärung. In: ders.: Fundamentalismus in der modernen Welt. Die Internationale der Unvernunft, Frankfurt(Main) 1989, S.17-22.

Abb.: Mounir Fatmi: Le paradoxe, 2013, im Internet.

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08/10/2007 (10:18) Schlagworte: DE,Lesebuch ::

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