MALTE WOYDT

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Weltstaat

“Ich möchte die noblen Intentionen der diversen Befürworter des demokratischen Kosmopolitismus nicht in Abrede stellen. Leider gibt es aber bezüglich der demokratisierenden Wirkung des kosmopolitischen Ansatzes großen Anlaß zur Skepsis. …

Man sollte sich … über die Folgen im klaren sein, den eine Ausdehnung des Rechtsbegriffs über den Nationalstaat hinaus nach sich zöge. … Kosmopolitische Rechte [sind] ohne einen Mechanismus, der sie für ihre Inhaber einklagbar machen könnte, fiktiv …

Wenn der Weltbürger nur durch die außerhalb des repräsentativen Rahmens der liberalen Demokratie agierende globale Zivilgesellschaft repräsentiert werden kann, dann liegen derlei Rechte außerhalb der Kontrolle ihres Inhabers und hängen notwendig von der Vertretung durch zivilgesellschaftliche Institutionen ab. Solche Rechte ohne Inhaber laufen Gefahr, zur Aushöhlung bestehender demokratischer Rechte autonomer Selbstverwaltung benutzt zu werden, etwa wenn zivilgesellschaftliche Institutionen die nationale Souveränität im Namen ‘globalen Interesses’ in Frage stellen. … Die neuen Rechte der Anhänger des Kosmopolitismus sind … eine Chimäre: Es sind moralische Forderungen – keine demokratischen Rechte, die durchgesetzt werden könnten.

Der kosmopolitische Ansatz bringt aber ein noch ernsteres Problem mit sich: die Gefahr, die alten Rechte der Souveränität im Tausch gegen jene fiktiven neuen Rechte zu opfern. Indem er internationalen Institutionen das Recht gibt, Souveränität zu untergraben, um kosmopolitischen Rechten Geltung zu verschaffen, spricht er den Bürgern vieler Länder das demokratische Recht ab, sich selbst zu regieren. …

Robert Dahl … kritisiert das Loblied auf internationale Organisationen, in denen ihre kosmopolitischen Fürsprecher einen weiteren Schritt auf dem langen Marsch der demokratischen Idee von der Polis bis zum Kosmos sehen.

Für Dahl läßt diese Ansicht von Demokratie die Tatsache außen vor, daß alle Entscheidungen, selbst jene von demokratischen Regierungen, grundsätzlich für einige Menschen unvorteilhaft sind, schlicht weil jede gewinnbringende Sache auch Kosten nach sich zieht. … Kosten und Nutzen sind … ungleich verteilt, und die zentrale Frage lautet immer: Wer soll entscheiden und nach welchen Kriterien? Aus diesem Grund ist es so wichtig, daß über die Entscheidungen gestritten werden kann. Wenn das schon auf nationaler Ebene schwierig ist, so ist es nahezu undurchführbar, wenn man sich den Fall eines hypothetischen internationalen Demos vorstellt, bei dem in puncto Größe der Bevölkerung und Macht der einzelnen Staaten große Unterschiede bestehen. … Internationale Entscheidungsfindung [kann] nicht demokratisch sein … Dahl sagt …, daß ‘es keinen Grund gibt, internationale Organisationen ins Mäntelchen der Demokratie zu kleiden, nur um sie mit größerer Legitimität auszustatten.’ Er schlägt vor, sie statt dessen als ‘bürokratische Aushandlungssysteme’ anzusehen, die zwar notwendig sein mögen, die aber auf Kosten der Demokratie agieren …”

aus: Chantal Mouffe: Über das Politische. Wider die kosmopolitische Illusion. Frankfurt (Main): Suhrkamp 2007 (Engl.Orig.-Ausg. 2005), S.131-138. Sie zitiert ausführlich Danilo Zolo: Cosmopolitic Prospects for World Government, Cambridge 1997, David Chandler: New Right für Old? In: Political Studies 51, 2003, S.332-349 und Robert Dahl: Can International Organizations be Democratic? A Sceptical View. In: I. Shapiro / C. Hakker-Cordòn (HG.): Democracy’s Edges, Cambridge 1999, S.25.

01/08

07/01/2008 (0:00) Schlagworte: DE,Lesebuch ::

Parteilichkeit

“Der rationalistische Ansatz kann nicht begreifen, daß das, was Menschen dazu veranlaßt, ihre Stimme abzugeben, viel mehr ist als nur der Wunsch, ihre Interessen zu vertreten. … Politik hat immer eine Dimension leidenschaftlicher Parteilichkeit, und damit Menschen sich für Politik interessieren, müssen sie die Möglichkeit haben, zwischen Parteien zu wählen, die echte Alternativen anbieten. Genau das fehlt aber bei der heutigen Glorifizierung der leidenschaftsfreien und unparteiischen Demokratie.”

aus: Chantal Mouffe: Über das Politische. Wider die kosmopolitische Illusion. Frankfurt(Main): Suhrkamp 2007 (Engl. Orig.-Ausg. 2005), S. 35-41.

01/08

06/01/2008 (22:26) Schlagworte: DE,Lesebuch ::

Gegner

“Während der Antagonismus eine Wir-Sie-Beziehung ist, in der sich Feinde ohne irgendeine gemeinsame Basis gegenüberstehen, ist der Agonismus eine Wir-Sie-Beziehung, bei der die konfligierenden Parteien die Legitimität ihrer Opponenten anerkennen, auch wenn sie einsehen, daß es für den Konflikt keine rationale Lösung gibt. Sie sind ‘Gegner’, keine Feinde. … Als Hauptaufgabe der Demokratie könnte man die Umwandlung des Antagonismus in Agonismus ansehen.

Aus diesem Grund, ist der ‘Gegner’ ein für demokratische Politik entscheidender Begriff. Das Modell der Gegnerschaft ist als für die Demokratie konstitutiv anzusehen … Die Entstehung antagonistischer Konflikte ist so lange unwahrscheinlich, wie für widerstreitende Stimmen legitime agonistische Artikulationsmöglichkeiten existieren. …

Ich möchte betonen, daß mein Verständnis vom Begriff des ‘Gegners’ scharf von dem gleichlautenden Begriff im liberalen Diskurs unterschieden werden muß. … Für die Liberalen ist ein Gegner lediglich ein Konkurrent. Das Feld der Politik ist für sie ein neutrales Terrain, auf dem verschiedene Gruppen um die Machtpositionen kämpfen, mit dem alleinigen Ziel, andere zu vertreiben, um ihren Platz einzunehmen. Sie … versuchen nicht, die Machtverhältnisse grundlegend zu verändern. Politik ist für sie nur ein Wettstreit zwischen Eliten.

… [Der agonistische Kampf] ist ein Kampf zwischen unvereinbaren hegemonialen Projekten, die niemals rational miteinander versöhnt werden können. … Es ist eine reale Konfrontation, die … durch eine Reihe demokratischer, von den jeweiligen Gegnern akzeptierten Verfahrensweisen reguliert wird. …

[Elias Canetti:] ‘ … Der Gegner der überstimmt wird, fügt sich keineswegs, weil er nun plötzlich an sein Recht nicht mehr glaubt; sondern er gibt sich einfach geschlagen.'”

aus: Chantal Mouffe: Über das Politische. Wider die kosmopolitische Illusion. Frankfurt(Main): Suhrkamp 2007 (Engl. Orig.-Ausg. 2005), S.29-33.

01/08

06/01/2008 (21:51) Schlagworte: DE,Lesebuch ::

Wertewandel

“… Dabei stellte sich als wichtigster Befund heraus, dass es einen entscheidenden Unterschied gibt, der die Werte einer Gesellschaft bestimmt: einerseits Gesellschaften, in denen die Mitglieder aller Klassen oder Schichten, so arm sie im Vergleich zu anderen Angehörigen der Gesellschaft auch sein mögen, ihr Überleben für gesichert halten, und andererseits Gesellschaften, in denen dies nicht der Fall ist. Die Scheidemarke liegt bei rund 10000 Dollar jährlichem Pro-Kopf-Einkommen. Diese Erkenntnis stammt von dem amerikanischen Soziologen Ronald Inglehart …

Wo der individuelle Job entweder keine ausreichende Sicherheit bietet oder gar nicht erst vorhanden ist, zählt das Kollektiv mehr als das Individuum – denn nur das Kollektiv garantiert das Überleben. Dieses Kollektiv ist in der Regel, weltweit an erster Stelle, die Familie. …

Der Wertewandel hinkt … der ökonomischen Entwicklung immer um mehrere Generationen hinterher …

Falls die Türkei in den kommenden Jahren weiterhin hohe wirtschaftliche Wachstumsraten aufweisen und die Gesellschaft insgesamt reicher werden wird, während die wirtschaftliche Entwicklung in den bisher reichsten Ländern der EU weiter stagniert, ist anzunehmen, dass ein relevanter Teil der türkischen Gesellschaft sich bald an die Mehrheit der Menschen innerhalb der EU anpassen wird …”

aus: Jürgen Gottschlich / Dilek Zaptcioglu: Das Kreuz mit den Werten. Über deutsche und türkische Leitkulturen. Hamburg: Körber 2005, S. 44-87.

12/07

06/01/2008 (21:28) Schlagworte: DE,Lesebuch ::

Fremde

Die Türken denken: Dieses Land spricht sehr viel über seine ‘Fremden’, wohl um zu verdrängen, dass es seit Jahrzehnten ein Land ist, in dem zumindest die Bewohner der größeren Städte einander fremd geworden sind und aneinander vorbeileben. In den Augen der Türken sind sich in Deutschland alle Menschen fremd. jeder geht ‘seinen eigenen Dinge‘ nach und hat Angst davor, dabei gestört zu werden. Das Leben besteht daraus, seine eigenen Pläne zu verwirklichen, koste es, was es wolle – das ist der Eindruck den deutsche Bekannte auf Türken oft hinterlassen. Jeder ist auf sich gestellt und will seine Ruhe haben. Deutsche Sätze beginnen stets mit ‘Ich’; von dem Anderen etwas zu erwarten ist verpönt und gilt als Schwäche. … Man lebt und stirbt hier einsam und wird erst entdeckt, wenn der Leichnam zu stinken beginnt. Das sagen die Türken über Deutsche.”

aus: Jürgen Gottschlich / Dilek Zaptcioglu: Das Kreuz mit den Werten. Über deutsche und türkische Leitkulturen. Hamburg: Körber, 2005, S.30/31.

12/07

06/01/2008 (21:04) Schlagworte: DE,Lesebuch ::

Guten Tag

“Die Türken sagen, ‘der Deutsche‘ grüßt immer, zu jeder Gelegenheit mit dem passenden Wort: ‘Guten Morgen‘, ‘Tag’ und ‘Abend’ oder ‘Gute Nacht’. Und ab Mitternacht heißt es dann wieder ‘Guten Morgen’, selbst wenn es draußen noch stockfinster ist, ‘Mahlzeit!’, auch wenn man gerade nichts isst, und ‘Schönen Feierabend’, wenn einem gar nicht nach Feiern zu Mute ist. Das geht den Deutschen mechanisch über die Lippen, und in Wirklichkeit interessiert es ihn nicht besonders, wie es seinem Nachbarn oder Kollegen geht. Der Gruß ist eine Floskel. Aber es ist und bleibt ein Rätsel für Türken, wie der Deutsche an diesem Lippenbekenntnis festhalten kann. Geht mal einer ohne eine Erwiderung an einem so Grüßenden vorbei, wird der Deutsche sich umsehen, als ob man ihm einen lebenswichtigen Wunsch abgeschlagen hätte.”

aus: Jürgen Gottschlich / Dilek Zaptcioglu: Das Kreuz mit den Werten. Über deutsche und türkische Leitkulturen. Hamburg: Körber 2005, S.30.

12/07

06/01/2008 (12:45) Schlagworte: DE,Lesebuch ::

Propaganda

“De steun van de publieke opinie behouden is cruciaal in oorlogstijd. De politiek verantwoordelijken tijdens de Navo-tussenkomst in de Kosovo-crisis in 1999 waren zich daarvan terdege bewust. Het was de eerste keer in de geschiedenis dat de Navo optrad in een gewapend conflict. …

Toenmalig Navo-woordvoerder Shea … was in het begin van de crisis geneigd de eufemistische retoriek [van de politici] over te nemen. tijdens het conflict leerde hij omgaan met de realiteit. …

Shea: ‘De media willen beelden, meer dan ooit. De Navo had alleen mar de kille en bloedloze videobeelden uit de cockpit. … De publieke opinie was opgetogen, dit was een virtuele oorlog. De echte oorlog bestaat niet meer, er is alleen nog precisieoorlog. Die lijkt op de videospelletjes van onze kinderen …

Maar op 14 april 1999 ontdekten journalisten de beelden van de Servische televisie over het incident met de tractor van Djakovica. Een flater van de Navo. Een schok voor het publiek. En ook voor ons. … We hadden de feiten geminimaliseerd, nog voor we ze zelf echt kenden. … We dachten dat een eenvoudige ontkenning zou volstaan om de media te doen zwijgen. Alsof de media ons zomaar op ons woord zouden geloven.’ …

Het zag er even naar uit dat Milosevic de mediaoorlog aan het winnen was. Voor snelle informatie en interessante beelden waren de westerse journalisten afhankelijk van het vijandelijke kamp, zo moesten de regeringsleiders in London en Washington vaststellen. …

In april kwam Engelands spin doctor nummer één, … Alistair Cmpbell met de Eurostar in Brussel aan. De Britse premier Tony Blair stelde zijn pr-hulpje na overleg met Bill Clinton ter beschikking …Campbell leerde de persdienst van de Navo naar eigen zeggen een paar essentiële handigheden uit zijn arsenaal middelen om de pers te bedwingen. … Zorg ervoor dat je zelf bepaald wat nieuws is. Dis de persmeute elke dagen nieuw verhaal op. Een waar verhaal natuurlijk. Er zijn zoveel ware verhalen mogelijk: het is beter als je zelf suggesties kunt doen. Je laat zoiets niet aan de vijand over. … Elke dag organiseerde de persdienst activiteiten om de mediaruimte te vullen. … Er kwam een eerste ontmoeting met de pers vanaf negen uur ‘s morgens. ‘Je moet de journalisten bezighouden, als ze zich vervelen, gaan ze zelf informatie en andere bronnen zoeken, en wie weet waar ze dan terechtkomen,’ zegt Shea. … ‘We leverden voortaan zelf het slechte nieuws aan de pers. Toen een flatgebouw vlakbij de Servische grens geraakt werd, heeft dat incident veel minder aandacht gekregen dan de tractor van Jakovica. Er werden zelfs geen vragen gesteld op de persconferentie.’ …

[Shea:] ‘De middelen die de journalisten hebben om de zaak te coveren zijn honderd maal rijker dan uw middelen om ze uit te leggen. Ik stond tijdens de hele Kosovo-crisis versteld van de krachtverhouding: wij waren met vijf op de persdienst en we stonden voor honderden goed geïnformeerde journalisten.'”

aus: Michèle van der Plaetsen: De influisteraars. De macht van de spin doctors. Leuven: Van Halewijn 2002, p. 223-233.

12/07

18/12/2007 (1:09) Schlagworte: Lesebuch,NL ::

Raison d’être

“Le jour de l’envol.

Au Brésil, des gens souvent d’origine modeste travaillent et investissent parfois pendant trois années entières dans la construction d’un ballon en papier qui peut atteindre jusqu’à 60 mètres de haut. Il est peint et décoré de ses plus belles couleurs quand il s’envole le jour, et emporte des dizaines de luminaires et de bougies pour un voyage nocturne.
Le feu et le papier réunis dans l’envol du ballon.
Le travail de longue halaine et la magie de l’instant.
Trois ans pour vingt minutes.

Ils regardent le ballon s’enfoncer dans le ciel. Vingt minutes.
Seulement vingt minutes.
Et il disparaît dans la nuit, ou derrière la colline.
Vivre maintenant, l’instant.
Plus personne ne le verra ensuite.
ne plus parler, regarder, écouter. Retenir son souffle, respirer. Crier.
Tout le monde le croit: il fera le tour du monde.

A peine le ballon envolé, ils se remettent au travail pour le suivant, imaginent les plans les plus fous, les formes et les tailles les plus osées, distribuent les tâches et investissent le temps pour construire ensemble vingt minutes de rêve et de vent. Et cette liberté n’a pas de prix.

Les “baloieros”, constructeurs de ballon, vivent de l’envol futur du ballon, s’incarnent en lui, défient les lois de l’apesanteur, et partent avec lui, en emportant tous ceux qui le désirent…

Une bouteille à la mer, mais dans le ciel. …”

aus: Olivier Thomas: Le jour de l’envol. Tract accompagnateur pour le spectacle du même titre, Théâtre Balsamine, Schaerbeek, décembre 2007.

12/07

08/12/2007 (1:13) Schlagworte: FR,Lesebuch ::

Utilitarismus

Das Menschenbild der neoklassischen Ökonomie, der rationale Nutzenmaximierer, ist ebenso eine Fiktion wie das ältere bildungsbürgerliche Idealbild einer ausschließlich von aufgeklärter Vernunft und dem Interesse am Wahren, Schönen und Guten geleiteten Existenz. … Dennoch wird das utilitaristische Handlungsmodell heute von vielen Menschen als realistisch angesehen, was bezüglich der Macht der Ideologien in unserem ‘postideologischen’ Zeitalter eine Menge aussagt. …

Wir würden uns selber maßlos überfordern, wenn wir in jeder Lage, die von uns ein Handeln erfordert, das Für und Wider aller sich bietenden Alternativen immer wieder neu abwägen müßten, um zu einer Entscheidung zu gelangen. Um den Alltag überhaupt einigermaßen bestehen zu können, müssen wir unser Handeln routinisieren, … müssen so handeln, wie es unserer Gewohnheit oder der Tradition entspricht.

Und noch etwas kommt hinzu: Nur wenn wir in der Regeln nach dem Maßstab des Üblichen handeln, wind wir auch für die anderen berechenbar, und nur weil wir berechenbar sind, weil wir in aller Regel so handeln, wie es die anderen von uns aufgrund vorgängiger Erfahrung erwarten, sind Zivilität und ein friedliches Zusammenleben unter Menschen überhaupt möglich. …

[In einer] Gesellschaft, in der die Beziehungen der Menschen untereinander vor allem von immer wieder neu anzustellenden utilitaristischen Kalkülen bestimmt werden … kann es kein die Menschen verbindendes Gemeinschaftsgefühl geben, ist die Vorstellung von einer die Individuen umgreifenden Schicksalsgemeinschaft schlicht abwegig. …

[Und] wo die Fähigkeit zur kritischen Selbstbefragung abstirbt, weil uns das Gefühl geschichtlicher Kontinuität oder ganz einfach die Zeit zum nachdenklichen Innehalten abhanden kommt, kann es letztlich auch so etwas wie Verantwortung für die eigenen Taten nicht mehr geben, Steuerung erfolgt dann allenfalls durch die Adhoc-Reaktionen der anderen oder durch die Informationen, die ‘der Markt’ den Marktteilnehmern vermittelt. Man kommt an, hat Erfolg, setzt sich durch – oder eben nicht. Die Frage nach Sinn oder Unsinn, Recht oder Unrecht des eigenen Handelns löst sich auf in die seiner Funktionalität.”

aus: Johano Strasser: Leben oder Überleben. Wider die Zurichtung des Menschen zu einem Element des Marktes. Zürich/München: Pendo 2001, S.260-265.

11/07

12/11/2007 (1:17) Schlagworte: DE,Lesebuch ::

Freiheit 1

“Aus allen traditionellen Orientierungen und Regelungen freigesetzten Menschen sind in der Regel alles andere als frei im Sinne aktiver Selbstbestimmung. Zumeist sind sie vielmehr schutzlos den vielfältigen Zwängen ihrer Umgebung ausgeliefert, ein Spielball anonymer ökonomischer Kräfte und eben darum nicht in der Lage, ihr Leben nach eigenen, individuellen Vorstellungen zu gestalten. …

… Gerade ‘eine enttraditionalisierte und individualisierte Kultur [braucht] systematisch Grundsicherungen …’ … Eine Politik, die vor allem auf Deregulierung und Abbau sozialer Sicherungsleistungen setzt, [ist], auch wenn sie noch sehr das Pathos der Freiheit bemüht, im Kern freiheits- und individualisierungsfeindlich.”

aus: Johano Strasser: Leben oder Überleben. Wider die Zurichtung des Menschen zu einem Element des Marktes. Zürich/München: Pendo 2001, S.196/197, paraphrasiert hier Ulrich Beck / Johannes Willms: Freiheit oder Kapitalismus, Frankfurt/Main 2000.

Abb.: Marc Chagall: La promenade, 1917, Schloss Michailowski, Sankt Petersburg, im Internet.

11/07

12/11/2007 (0:34) Schlagworte: DE,Lesebuch ::
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