MALTE WOYDT

HOME:    PRIVATHOME:    LESE- UND NOTIZBUCH

ANGE
BOTE
BEL
GIEN
ÜBER
MICH
FRA
GEN
LESE
BUCH
GALE
RIE
PAM
PHLETE
SCHAER
BEEK
GENEA
LOGIE

Terrorismusbekämpfung

“Es ist schmerzhaft zuzugeben, aber wir Journalisten sind die Boten des Terrors, durch uns werden aus fünf verängstigsten Menschen in einer Kirche Millionen verängstigte, wütende, nach Rache rufende Menschen in der ganzen Welt. … Natürlich kann man jetzt den berühmten Satz zitieren: ‘Don’t shoot the messanger’, was so viel heißt wie: Der Bote kann nichts für die Botschaft, die er überbringt. Nur, in diesem Fall stimmt das nicht. …

Die Terroristen benutzen uns Journalisten. Und wir lassen uns benutzen, wieder und wieder. … [Terrorismus] verbreite sich im Laufe des 19. Jahrhunderts zunächst dort, wo die … Kommunikationstechnologien besonders weit fortgeschritten waren … Politische Morde, wie es sie schon immer gegeben hatte … aber etwas war neu. … Auf einmal hatten kleine terroristische Gruppen, selbst Individuen, ein Mittel gefunden, um mit wenig Aufwand das Weltgeschehen zu beeinflussen. Die Öffentlichkeit: Sie war Waffe geworden. …

Jetzt, nach Barcelona, titelte die Londoner Times wieder: Evil Strikes Again. Das Böse schlägt wieder zu. Nicht ein paar Durchgeknallte, nein, das Böse schlechthin, nicht weniger als das! Jubel bei den Terroristen. Ziel erreicht. Alle haben Angst. … Terroristen nähren sich an der Eskalation. … Die Islamisten wollen die gesamte westliche Welt in eine große Schlacht trieben. Auch jene Terroristen, die … sich im Kinderzimmer … radikalisieren, sehen sich als tapfere Soldaten in einem heroischen Krieg. Es gibt diesen Krieg nicht. Der Kampf gegen den Terrorismus ist in Wahrheit eine Auseinandersetzung mit einigen radikalen Verbrechern. …

Es gibt … nur einen Ausweg: … Wir müssen aufhören, über Terroranschläge zu berichten. Unmittelbare Folgen hätte ein Anschlag dann nur für die Familien der Opfer, die Augenzeugen, das medizinische Personal und einige Therapeuten – so wie bei einem Autounfall.  … Nach einer Massenkarambolage auf der A8 strahlt niemand das Brandenburger Tor an. Die Angst würde eingedämmt. Unsere Gesellschaft wäre gesünder.

Dieses Gedankenspiel ist wohltuend und quälend zugleich, für mich als Journalisten besonders, denn natürlich widerspricht es meinem Berufsverständnis. … Sofort führt man innere Debatten über die Pressefreiheit. Was man dabei vergisst: Es gibt ein Beispiel dafür, dass wir Journalisten diese Art von Selbstzensur längst praktizieren – nur dass wir sie nicht so nennen. … Je mehr ein Selbstmord thematisiert wird, desto größer die Zahl der Nachahmer. Deswegen haben sich Journalisten in vielen Ländern darauf geeinigt, nur sehr eingeschränkt über Suizide zu berichten. … Nicht-Berichterstattung rettet Leben – beim Suizid reicht uns Journalisten das als Grund zum Schweigen.

Vor vier Wochen erschien im renommierten Journal of Public Economics ein interessanter Artikel. Michael Jetter, ein deutscher Ökonom an der University of Western Australia, berichtet darin von seiner Forschungsarbeit. … Das Ergebnis: Immer wenn über einen Anschlag besonders ausführlich berichtet wurde, kam es in den darauf folgenden sieben Tagen zu weiteren Anschlägen, bei denen im Durchschnitt drei Menschen starben. … Weil wir berichten, sterben Menschen.”

aus: Bastian Berbner: Wir Terrorhelfer. Die Zeit, 24.8.17, S.13-15.

08/17

28/08/2017 (9:22) Schlagworte: DE,Lesebuch ::

Comments are closed.