MALTE WOYDT

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Corona 2

“Die Coronapandemie hat bei allen Altersgruppen zu schweren Einschnitten des normalen Lebensrhythmus geführt. Viele Menschen haben das Gefühl, aus dem Tritt geraten zu sein, die Kontrolle verloren zu haben, sie sind erschöpft. Man kann eine Analogie zum Krankheitsbild der posttraumatischen Belastungsstörung ziehen. …

Da weiß man, dass das wahre Ausmaß einer Belastung sich erst zeigt, wenn man die akute Krise eigentlich schon hinter sich hat. Einen solchen Effekt beobachten wir in allen Altersgruppen, bei jungen Leuten besonders stark. Wir haben es mit einer psychisch sehr belasteten, sehr erschöpften Bevölkerung zu tun. Die bräuchte jetzt eigentlich Ruhe. Aber stattdessen stehen wir vor den nächsten Krisen: Klima, Krieg, Inflation, vielleicht auch noch eine Fluchtbewegung. Auch diese Krisen können von einem Individuum nicht mit eigenen Ressourcen bewältigt werden. Es ist die nächste Überforderung. …

Die Belastungssymptome gehen in drei Richtungen. …

[1] nach innen … Angst- und Essstörungen und Depressionen. …

[2] nach draußen, … Aggressivität, … politisch extreme Haltungen. …

[3] Sucht als Ausweichstrategie, um sich Entlastung zu verschaffen … [auch] Verschwörungstheorie zum Beispiel, … Die gibt mir Sicherheit, weil ich weiß, woran es liegt. Ich habe die Ursache gefunden … ich kenne den Schuldigen … ich kann also nichts tun. …

Nach dem Konzept der Salutogenese des Soziologen Aaron Antonovsky braucht der Mensch … drei Dinge …:

[1] das Gefühl … ich kann die Welt verstehen,

[2] dass … die Herausforderungen, die vor mir liegen, machbar sind,

[3] dass … es sich … lohnt, in die Zukunft zu investieren. …

Wenn dieses Gefühl Schaden nimmt, dann werde ich pessimistisch, glaube weder an mich noch an die Gesellschaft und suche nach rettenden Strohhalmen. …

Notwendig ist eine ermutigende und ermächtigende Politik, das, was im Englischen so schön Empowerment heißt. …

Alle Erfahrungen aus der Psychiatrie sagen, dass eine posttraumatische Belastungsstörung heilbar ist. Das braucht Zeit, der wichtigste Schritt ist, wieder die Kontrolle über das eigene Leben zu gewinnen. Dazu muss ich das Trauma, was mich umgeworfen hat, verstehen. Ich muss anerkennen, dass es jetzt Bestandteil meines Lebens ist und ich damit leben muss. Wichtig ist dabei, dass ich nicht ständig an das Ohnmachtsgefühl erinnert werde. Deswegen ist es bei den großen politischen Herausforderungen jetzt so wichtig, dass die Regierung mit der Bevölkerung einen Minimalkonsens herstellt. … Alle … müssten zeigen, dass sie in der Lage sind, eine große Herausforderung gemeinsam zu lösen. Auf keinen Fall getroffene Vereinbarungen wieder infrage stellen, das unterhöhlt jede Glaubwürdigkeit und jede Verlässlichkeit. Ich glaube, das ist das Schlimmste, was der Ampel passiert ist.”

aus: Klaus Hurrelmann: Die Bevölkerung ist erschöpft, interviewt durch Sabine am Orde, taz online, 3.8.23, im Internet.

Abb.: RF Art: Corona, 2021, im Internet.

07/23

06/08/2023 (2:53) Schlagworte: DE,Lesebuch ::

Lowtech

“Mit Blick auf den Ressourcenverbrauch und die zunehmenden Cybergefahren erscheint Lowtech gegenüber Hightech als resilienteres und nachhaltigeres Mittel, um den Planeten zu retten: Fahrrad statt Auto, begrünte Fassaden statt Klimaanlagen, eiweißbasierte statt künstlicher Intelligenz.

Das menschliche Gehirn verbraucht lediglich 20 Watt. Zum Vergleich: Die Jeopardy-Version von IBMs Supercomputer Watson benötigte 85.000 Watt, um bei der Rateshow zwei menschliche Spieler zu bezwingen. Vielleicht sollte man öfter mal den eigenen Denkapparat einschalten, anstatt Chatbots mit Fragen zu löchern. Es gibt nichts, was so umweltfreundlich ist wie das eigene Denken.”

aus: Adrian Lobe: Ökologischer Fußabdruck von KI: Die Klimakiller-Intelligenz, taz online, 28.7.23, im Internet.

Abb.: Fahrradladen in Den Haag, 1902, Foto Frederic Depoortere, 12/24.

07/23

28/07/2023 (11:18) Schlagworte: DE,Lesebuch ::

“Künstliche Intelligenz”

“Aus der Perspektive von OpenAI ist Information frei/kostenlos, sodass das Unternehmen seine hungrigen Textgenerierungsmaschinen damit füttern kann. Aber wenn GPT-4 sie erst einmal verspeist hat, gehört das Ergebnis seinen Schöpfern. Es ist, als füttere man ein Nutztier mit geklautem Futter.”

aus: Christian Stöcker: Maschinen, die geklaute Bücher lesen, Spiegel Online, 16.7.23, im Internet.

Abb.: Nicolás Lamas, Berlin 1025?, im Internet.

07/23

16/07/2023 (20:27) Schlagworte: DE,Lesebuch ::

Anstand

“Lebensbedingt pendele ich aktuell öfter durch Europa, und auch sonst bin ich nett und fahre transnational oft Zug – als Freiberuflerin geht das, Festangestellte zahlen mit freien Tagen drauf. Gut, für Anstand in jeder Hinsicht draufzuzahlen ist im Kapitalismus ja schon Gewohnheit.”

aus: Alina Schwermer: Zugfahren ist zu oft eine Zumutung, taz online 13.7.23, im Internet.

Abb.: Mick Stevens, The New Yorker, 27.7.1987.

07/23

13/07/2023 (9:41) Schlagworte: DE,Lesebuch ::

Kapitalismus 2

Die verquere Idee, wir lebten “im” Kapitalismus hindert viele Menschen daran, zu korrekten politischen Analysen zu kommen. Kapitalismus scheint mir weniger ein “System” zu sein als denn ein Organisationsprinzip. Wir leben nicht “im” Kapitalismus. Viele Alltagshandlungen und zwischenmenschliche Beziehungen haben mit Kapitalismus nichts zu tun: Wenn man seine eigenen Kinder aufzieht, selber zu Essen kocht oder sich ehrenamtlich engagiert, sind das alles Tätigkeiten, die man kapitalistisch organisieren könnte, die es aber nicht sind.

So gibt es auch große Unterschiede zwischen vorgeblich allesamt gleich kapitalistischen Gesellschaften. In Hamburg gab es zu meiner Zeit nur private Musikschulen, Brüssel ist überzogen mit öffentlichen Musikschulen, die für einen Bruchteil der in Hamburg üblichen Beiträge Unterricht geben. In Belgien und Deutschland haben wir staatliche Rentensysteme, die ohne Kapitalbildung auskommen, weil die Beiträge der Einen die Bezüge der Anderen sind. In anderen Ländern gibt es Pensionsfonds, deren Investitionspolitik soziale Verheerungen anrichtet. Überall in Europa sind 50% der aktuellen Inflation auf Margenerhöhungen des Handels zurückzuführen, nur in Belgien beschränkt sich das auf 20% – weil der Lohnindex 30% der Inflation schluckt, also 30% der Inflation den Arbeitnehmern zu Gute kommen.

Malte Woydt

07/23

09/07/2023 (17:34) Schlagworte: DE,Notizbuch ::

Kindergartisierung

“Die Kindergartisierung Deutschlands, sie zeigt sich in den Debatten über die AfD, aber auch im Umgang mit der Klimakrise und den Maßnahmen dagegen, etwa dem Heizungsgesetz. Ständig müssen alle ‘mitgenommen’, darf niemand ‘überfordert’ werden. Ständig soll man ‘zuhören’, auch wenn da nur Geschrei kommt. Jegliche Zumutung des Lebens soll von den BürgerInnen ferngehalten werden, es könnte sie verunsichern. …

Es ist höchste Zeit, die AfD und ihre WählerInnen wie Erwachsene zu behandeln. Menschen wählen Rechtsextreme, weil sie rechtsextrem sind oder weil sie davon profitieren, wenn Rechtsextreme Macht erlangen. Rechtsextreme muss man ausgrenzen, bekämpfen, schlagen, mit allen Mitteln. Und wer nach Gründen für ihren Erfolg sucht, sollte sich nicht mit Kränkungen und Pädagogik beschäftigen, sondern mit den Grundlagen des Erfolgs. …

Rechtspopulismus ist europaweit auf dem Vormarsch. Wer eine Alternative zu ihm will, muss die Schwäche der Linken überwinden, Antifaschismus und Umverteilung organisieren. Auf die Parteien der Mitte kann man dabei nicht setzen. Sie haben nicht mehr anzubieten als Streicheleinheiten.”

aus: Kersten Augustin: Deutschland ist ein Kindergarten, taz online, 1.7.23, im Internet

Abb.: AFD-Fanshop online.

07/23

01/07/2023 (18:58) Schlagworte: DE,Lesebuch ::

Historische Methode

“Daß Unwahrheiten Eingang in historische Nachrichten finden, ist naturgemäß und hat verschiedene Ursachen:

[1] die Parteinahme für bestimmte Meinungen und Schulen. … Sympathie und Parteinahme trüben … [den] scharfen Blick für Kritik sowie eine genaue Untersuchung …

[2] … blindes Vertrauen in die Überlieferung. …

[3] daß die Zwecksetzungen historischer Nachrichten zu wenig beachtet werden.  Ein Großteil der Überlieferer begreift nicht den Zweck dessen, was er selbst gesehen oder gehört hat und vermittelt Nachrichten nach seinem Verständnis und seiner Mutmaßung weiter …

[4] … die Einbildung, die Wahrheit zu besitzen …

[5] fehlendes Wissen darüber, in welcher Beziehung die einzelnen Zustände (in der menschlichen Kultur) zu den tatsächlichen Ereignissen stehen …

[6] sich die Menschen gern um die Gunst großer und hochstehender Persönlichkeiten bemühen, indem sie Lob und Preis anstimmen …

[7] Unkenntnis über das Wesen der einzelnen Zustände in der menschlichen Kultur … Man muß erwägen, ob es im Bereich des Möglichen liegt, daß die Ereignisse geschehen konnten. Das ist wichtiger, als die kritische Beurteilung von Personen vorzunehmen, und muß dieser vorausgehen. … ”

aus: Ibn Khaldun: Das Buch der Beispiele. Einführung in die Weltgeschichte. Ditzingen: Reclam 2016 (arabische Originalausgabe 1377), S.39-43.

ca. 06/18

17/05/2023 (0:40) Schlagworte: DE,Lesebuch ::

Ökologischer Fußabdruck 3

“Nach über einem Jahr Ampel wird sichtbar, auf was grüne Politik im Bund abzielt, wenn sie Gestaltungsspielraum erhält: auf den Lebensstil der Mittelschicht. Ihr gehören all jene an, die sich von ihrem Gehalt gerade so eine schöne Wohnung, ein- bis zweimal im Jahr einen Urlaub und vielleicht ein Auto leisten können, bis zu solchen, die es zu einem Eigenheim und Fernreisen bringen.

Sie machen noch immer deutlich mehr als die Hälfte der Bevölkerung aus. Im Vergleich zu ihren Vorfahren und zu Zeitgenossen in vielen Teilen der Welt leben sie ein Leben in Luxus. Denn eine durchschnittliche Wohnfläche von rund 48 Quadratmetern pro Kopf, ein unüberschaubares Angebot an Lebensmitteln jeden Tag und jährlich 11.000 gefahrene Kilometer im Auto sind genau das: ressourcenfressender Luxus. So kann das nicht bleiben.

Was bedeutet das? Wer das Privileg hat, im eigenen Haus zu wohnen, wird sich in den nächsten Jahren Geld für eine klimaneutrale Heizung zurücklegen müssen – auch wenn dies Urlaub in der Eifel oder im Garten bedeutet. Statt in Reisen oder Elektronik wird Einkommen in Energieeffizienz und umweltfreundliche Produktion fließen. Die Armen leben schon heute gezwungenermaßen umweltfreundlich, die richtig Reichen können sich Klimaschutz ohne Einbußen leisten. Verzichten muss die Mittelschicht. Das ist nicht schön, aber notwendig.”

aus: Heike Holdinghausen: Nervöse Mittelschicht, taz online, 15.5.23, im Internet Externer link-symbol

Abb.: World Inequality Report 2022, im Internet Externer link-symbol

05/23

16/05/2023 (11:08) Schlagworte: DE,Lesebuch ::

Ankleben

“Ankleben an Straßen und Gegenständen … reicht zwar nicht für eine Wende, aber für den Märtyrer. Den brauchen wir aber gerade nicht. Moral ist eben nicht Moralisieren. Moral ist Charakter, also Selbstverantwortung. …”

aus: Wiolf Lotter: Hört auf zu heulen!, futurzwei, taz online, 14.3.23, im Internet.

Abb.: Klimakleber, Seiffener Volkskunst Erzgebiurge, im Internet.

05/23

15/05/2023 (12:21) Schlagworte: DE,Lesebuch ::

Aufstieg

“… Wir haben Millionen von Lebensläufen ausgewertet, indem wir Zensusdaten der US-Bevölkerung analysiert und sie mit anonymen Informationen der Steuerbehörde abgeglichen haben. Dadurch wussten wir über die Hautfarbe der Menschen Bescheid, wo sie aufgewachsen sind und was die Eltern verdient haben – und wie diese Leute in ihren Dreißigern selbst finanziell dastehen. …

Sowohl die Hautfarbe als auch der Ort, an dem ein ärmeres Kind aufwächst, sind für seine Aufstiegschancen absolut entscheidend. Schwarze Kinder haben auch heute noch viel schlechtere Chancen als weiße. Wobei es hier einen erstaunlichen Kniff gibt: Das stimmt nur für Männer. Schwarze Frauen haben die gleichen Chancen wie weiße Frauen mit dem gleichen Hintergrund. Man könnte jetzt über Ungerechtigkeiten im Justizsystem oder andere Formen der Diskriminierung nachdenken, die besonders schwarze Männer treffen. Und davon unabhängig haben wir festgestellt, dass auch der Wohnort extrem wichtig ist, die Gemeinschaft, die Umgebung, in der jemand aufwächst. Wenn man ein bestimmtes Kind von einem Ort an einen besseren umziehen lässt, dann hat dieses Kind als Erwachsener ein ganz anderes Leben. …

Die Orte mit den besten Aufstiegschancen liegen im ländlichen Mittleren Westen. In Staaten wie Iowa oder North Dakota, wo es viel Ackerland gibt. Dort kann man wirklich gut aufwachsen: Es gibt gute Schulen, die Umgebung ist eher integrativ, das heißt, man hat als ärmeres Kind auch Kontakt zu Menschen aus höheren Einkommensschichten. Das verändert die eigenen Erwartungen ans Leben. Und diese Kontakte können auch wichtige Informationen weitergeben …

Erstens haben Kinder aus gemischten Nachbarschaften eine bessere Perspektive als solche aus Gegenden, wo die Armut sehr konzentriert ist. Zweitens schafft offenbar eine Heimat mehr Möglichkeiten, in der die Familienstrukturen stabiler sind. Gute Schulen sind wichtig – und dann, ganz entscheidend: Unsere Forschung hat ergeben, dass Gegenden mit höherem Sozialkapital bessere Aufstiegschancen bieten. …

Bisher konnte niemand wirklich im großen Stil nachweisen, welche Rolle Kontakte spielen. Ich hatte die Idee, für unsere Forschung Daten aus sozialen Netzwerken zu nutzen. Also haben wir mit Facebook kooperiert. 85 Prozent der amerikanischen Bevölkerung zwischen 25 und 44 nutzt Facebook, das sind 72 Millionen Menschen, die untereinander 21 Milliarden Freundschaften unterhalten. Wir haben sie alle ausgewertet. Und wir haben herausgefunden, dass ‘ökonomische Vernetzung’ der entscheidende Faktor für wirtschaftlichen Aufstieg ist. Das heißt: Ein Kind aus ärmeren Verhältnissen hat viel bessere Chancen an Orten, wo es viele Kontakte zu einkommensstärkeren Schichten gibt. Kontakte zu Reicheren sind der entscheidende Faktor für den Aufstieg. …”

aus: »Kontakte zu Reicheren sind der entscheidende Faktor für den Aufstieg« Raj Chetty interviewt durch Nicola Abé, Spiegel Online, 16.04.2023, im Internet.

04/23

17/04/2023 (0:25) Schlagworte: DE,Lesebuch ::
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