MALTE WOYDT

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Gnade

“Gnade [gilt] der Person … im Unterschied zur Tat: Der Gnadenakt verzeiht nicht den Mord, sondern begnadigt den Mörder, weil er mehr ist als seine Tat.”

aus: Hannah Arendt: Brief an Gershom Scholem, 20.7.1963, hier in: Hannah Arendt: Wahrheit gibt es nur zu Zweien. Briefe an die Freunde. München/Zürich: Piper, S.284

04/17

21/04/2017 (23:22) Schlagworte: DE,Lesebuch ::

Zionismus

“Denn heute und im jetzigen Moment ist die zionistische Bewegung tot. Sie ist teils an dem Siege (Staatsgründung, die ja das Ziel war) und teils an der völlig veränderten Judenfrage nach Hitler eingegangen. Es gibt kein europäisches Judentum mehr und wird es vielleicht nie wieder geben. Aber die Lüge in Israel ist, dass man diese Vergangenheit, der man seine eigene Entstehung verdankt, verleugnet und sich stattdessen eine großartige Herkunft andichtet – biblisch-alttestamentarisch. Gerade damit träumt man sich aus der wirklichen Geschichte heraus und versteht die eigene Realität nicht mehr. Genau so benehmen sich andere Levante-Völker, wie etwa die Griechen, die natürlich mit Homer so viel zu tun haben wie Du und ich und sich als homerische Helden aufspielen und dabei in dem wüstesten balkanischen Chauvinismus und der dazu gehörigen Schlamperei und Korruptheit und Unbildung und Levantivismus sich behaglich einrichten.

Es scheint mir, dass es keine Möglichkeit für eine Renaissance des Zionismus gibt im gegenwärtigen Augenblick. Dazu ist vor allem die Lage in Israel zu prekär; die Fragen der nackten Existenz stehen zu sehr im Vordergrund. Die Frage des Antisemitismus andererseits ist vorläufig außer in den Satelliten-Staaten (und vielleicht in Russland) nicht akut. Und Assimilation in Amerika ist ein so grundsätzlich anders geartetes Phänomen, dass das Begriffs-Arsenal des Zionismus ihm nicht gewachsen ist.”

aus: Hannah Arendt: Brief an Kurt Blumenfeld, 9.1.1957, hier in: Hannah Arendt: Wahrheit gibt es nur zu Zweien. Briefe an die Freunde. München/Zürich: Piper, S.211

04/17

20/04/2017 (23:02) Schlagworte: DE,Lesebuch ::

Heidegger

“Heidegger sagt, ganz stolz: ‘Die Leute sagen, der Heidegger ist ein Fuchs.’ Dies ist die wahre Geschichte von dem Fuchs Heidegger:

Es war einmal der Fuchs, dem gebrach es so an Schläue, daß er nicht nur in Fallen ständig geriet, sondern den Unterschied zwischen einer Falle und einer Nicht-Falle nicht wahrnehmen konnte. Dieser Fuchs hatte noch ein Gebrechen, mit seinem Fell war irgend etwas nicht in Ordnung, so daß er des natürlichen Schutzes gegen die Unbilden des Fuchsen-Lebens ganz und gar ermangelte. Nachdem dieser Fuchs sich seine ganze Jugend in den Fallen anderer Leute herumgetrieben hatte und von seinem Fell sozusagen nicht ein heiles Stück mehr übrig geblieben war, beschloß er, sich von der Fuchsenwelt ganz und gar zurückzuziehen, und ging an die Errichtung des Fuchsbaus. In seiner haarsträubenden Unkenntnis über Fallen und Nicht-Fallen und seiner unglaublichen Erfahrenheit mit Fallen kam er auf einen unter Füchsen ganz neuen und unerhörten Gedanken: Er baute sich eine Falle als Fuchsbau, setzte sich in sie, gab sie für einen normalen Bau aus (nicht aus Schläue, sondern weil er schon immer die Fallen der Anderen für deren Baue gehalten hatte), beschloß aber, auf seine Weise schlau zu werden und seine selbstverfertigte Falle, die nur für ihn paßte, zur Falle für Andere auszugestalten. Dies zeugte wieder von großer Unkenntnis des Fallenwesens: In seine Falle konnte niemand recht rein, weil er ja selbst drin saß. Dies ärgerte ihn; schließlich weiß man doch, daß alle Füchse gelegentlich trotz aller Schläue in Fallen gehen. Warum sollte es eine Fuchsenfalle, noch dazu vom in Fallen erfahrensten aller Füchse hergerichtet, nicht mit den Fallen der Menschen und Jäger aufnehmen können? Offenbar, weil die Falle sich als solche nicht klar genug zu erkennen gab. Also verfiel unser Fuchs auf den Einfall, seine Falle schönstens auszuschmücken und überall klare Zeichen zu befestigen, die ganz deutlich sagten: Kommt alle her, hier ist eine Falle, die schönste Falle der Welt. Von da an war es ganz klar, daß in diese Falle sich kein Fuchs je unabsichtlicherweise hätte verirren können. Dennoch kamen viele. Denn diese Falle diente ja unserem Fuchs als Bau. Wollte man ihn im Bau, wo er zu Hause war, besuchen, mußte man in seine Falle gehen. Aus der freilich konnte jeder herausspazieren außer ihm selbst. Sie war ihm wort-wörtlich auf den Leib geschnitten. Der Fallen-bewohnende Fuchs aber sagte stolz: So viele gehen in meine Falle, ich bin der beste aller Füchse geworden. Und auch daran war etwas Wahres: Niemand kennt das Fallenwesen besser, als wer zeitlebens in einer Falle sitzt.”

aus: Hannah Arendt: Denktagebuch, Juni 1953, hier in: Hannah Arendt: Wahrheit gibt es nur zu Zweien. Briefe an die Freunde. München/Zürich: Piper, S.165 [auch im Internet gefunden: Kult des Fragments]

04/17

20/04/2017 (22:47) Schlagworte: DE,Lesebuch ::

Judentum

“Judentum gibt es nicht außerhalb der Orthodoxie auf der einen, dem jiddisch sprechenden, Folklore produzierenden jüdischen Volk auf der anderen Seite. Was es außerdem gibt, sind Menschen jüdischer Abstammung, für die es jüdische Inhalte im Sinne irgendeiner Tradition nicht gibt und die aus bestimmten sozialen Gründen und weil sie sich als eine Clique innerhalb der Gesellschaft befanden, so etwas produzierten wie einen ‘jüdischen Typus’. Dieser hat mit dem, was wir historisch und voll echter Gehalte unter Judentum verstehen, nichts zu tun.”

aus: Hannah Arendt: Brief an Karl Jaspers, 7.9.1952, hier in: Hannah Arendt: Wahrheit gibt es nur zu Zweien. Briefe an die Freunde. München/Zürich: Piper, S.139

04/17

20/04/2017 (22:42) Schlagworte: DE,Lesebuch ::

Shoah

“Mit einer Schuld, die jenseits des Verbrechens steht, und einer Unschuld, die jenseits der Güte oder der Tugend liegt, kann man menschlich-politisch überhaupt nichts anfangen. Dies ist der Abgrund … in den wir nun schließlich hineingeraten sind. Wie wir aus ihm herauskommen sollen, weiß ich nicht. Denn die Deutschen sind dabei mit Tausenden oder Zehntausenden oder Hunderttausenden belastet, die innerhalb eines Rechtssystems adäquat nicht mehr zu bestrafen sind; und wir Juden sind mit Millionen Unschuldiger belastet, auf Grund deren sich heute jeder Jude gleichsam wie die personifizierte Unschuld vorkommt.”

aus: Hannah Arendt: Brief an Karl Jaspers, 17.8.1946, hier in: Hannah Arendt: Wahrheit gibt es nur zu Zweien. Briefe an die Freunde. München/Zürich: Piper, S.66

04/17

20/04/2017 (22:29) Schlagworte: DE,Lesebuch ::

Böse, das

“Das Böse hat sich als radikaler erwiesen als vorgesehen. Äußerlich gesprochen: Die modernen Verbrechen sind im Dekalog nicht vorgesehen. Oder: Die abendländische Tradition krankt an dem Vorurteil, dass das Böseste, was der Mensch tun kann, aus dem Laster der Selbstsucht stammt; während wir wissen, dass das Böseste oder das radikal Böse mit solchen menschlich begreifbaren, sündigen Motiven gar nichts mehr zu tun hat.”

aus: Hannah Arendt: Brief an Karl Jaspers, 4.3.1951, hier in: Hannah Arendt: Wahrheit gibt es nur zu Zweien. Briefe an die Freunde. München/Zürich: Piper, S.126

04/17

20/04/2017 (22:24) Schlagworte: DE,Lesebuch ::

Mensch

Die “abendländische Philosophie [hat] nie einen reinen Begriff des Politischen gehabt … und [konnte ihn] auch nicht …, weil sie notgedrungen von dem Menschen sprach und die Tatsache der Pluralität nebenbei behandelte. …”

aus: Hannah Arendt: Brief an Karl Jaspers, 4.3.1951, hier in: Hannah Arendt: Wahrheit gibt es nur zu Zweien. Briefe an die Freunde. München/Zürich: Piper, S.127

04/17

20/04/2017 (22:20) Schlagworte: DE,Lesebuch ::