MALTE WOYDT

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Putin 2

“Die ganze Weisheit des freien Westens reicht nicht, einen Kremlchef auf dem Kriegspfad zu dechiffrieren. …

Alle politischen Bemühungen, den Konflikt um die Ukraine wenigstens einzuhegen, sind dunkel durchwirkt von einem fundamentalen Nicht-Verstehen dessen, was der Kremlchef bezweckt, warum er tut, was er tut, und wie das Ganze für ihn nutzbringend enden soll. Wobei: Womöglich führt schon das Wort ‘Nutzen‘ in die falsche Richtung, weil es für Wladimir Putin um nichts geht, dem man im westlichen Denken einen messbaren ‘Nutzen’ zuordnen würde.

Misst man … dennoch mit dem politisch-ökonomischen Maß von Kosten und Nutzen, schadet Wladimir Putin sich selbst …: USA und Europäer sind in der Nato so vereint wie lange nicht. Eine eroberte Ukraine ist nicht zu befrieden und erst recht wieder auf dem Weg in den Westen, der zugleich seine Bemühungen verzehnfacht, der Gasabhängigkeit zu entkommen und Russland wirtschaftlich in den Ruin treibt. Das alles stimmt – vorausgesetzt, dass Putin tatsächlich etwas bezweckt, was zu bezwecken der Westen ihm unterstellt. Die Wahrheit ist aber: ob dem so ist, wissen wir nicht, weshalb das Verstörende ja bleibt: Man kann einfach nicht glauben, dass Putin wirklich losschlägt. Aber genauso wenig kann man glauben, dass er einfach kehrtmacht und nicht losschlägt.

Wie sehr Wladimir Putins Forderungen aus dem Rahmen des westlich Denkbaren fallen, ergibt sich, wenn man ein paar Gegenforderungen desselben Kalibers formuliert: sofortige Einführung der Pressefreiheit, eine funktionierende Gewaltenteilung, unabhängige Strafgerichtsbarkeit in Russland – nichts davon kann Putin zugestehen, weil er andernfalls implodiert. … Umgekehrt würde die Nato genauso implodieren, wenn sie die militärischen und politischen Forderungen Putins erfüllt. Sie sind schlicht nicht zumutbar … Aber was, wenn sogar ‘Zumutbarkeit’ zu jenen rationalen Kategorien gehört, die der Kremlchef fortan ignorieren will? Um die nukleare Abschreckung könnte es dann übrigens ebenso geschehen sein. Auch sie ist ein zutiefst rationales Konzept.

… Keiner spricht Putin … Ältere wie junge Kulturtechniken des Westens versagen …, archaisch ist der Geist der Stunde: ein Mann, ein Wille, ein Kommando. …

Die US-Regierung … kommentiert, was sie nicht versteht, laut und live. Damit zieht man augenscheinlich eine Lehre aus dem Jahr 2014: Damals ahnte man wohl auch, was Putin mit der Krim vorhabe, aber schwieg, bis es wirklich passiert war. … Immerhin sichern die USA damit das Narrativ von Schuld und Verantwortlichkeiten ab, doch hilft das naturgemäß erst nach vollzogener Tat. Ob es den Kreml auch von der Tat abzuschrecken hilft, weiß niemand. Q.e.d.

Kurzum: Der Westen scheint nicht mehr die Kraft zu haben, in Sachen Krieg und Frieden Russland Regeln des rationalen Denkens aufzuzwingen. Da geht womöglich etwas zu Ende, und wir alle werden zu Zeugen, ganz gleich, ob es zum Krieg kommt oder nicht. Wer nun insgeheim frohlockt, weil der Westen jahrhundertelang mit dieser Kraft auch viel Böses angestellt hat in der Welt, der möge bedenken: Es gibt kein anderes Konzept, global zu kommunizieren, mithin auch kein Besseres.

Vielleicht sind, was der Himmel verhüten möge, die Chinesen in ein paar Jahren oder Jahrzehnten so weit, ein anderes Konzept in der Welt durchsetzen zu können. Doch in der Zwischenzeit, in diesem sprachverwirrten Zwischenreich, da scheint Wladimir Putin machen zu können, was ihm in den Sinn kommt. Ist dieser Befund kulturpessimistisch? Vielleicht. Der Westen ist jedenfalls dabei, einen Offenbarungseid zu liefern.”

aus: Nikolaus Blome: Niemand spricht Putin, Spiegel Online, 21.02.2022, im Internet.

Abb.: Daria Marchenko: Face of War, 2015, im Internet.

02/22

21/02/2022 (23:15) Schlagworte: DE,Lesebuch ::

Ökologie

“Die Maxime der größtmöglichen Produktion zu den geringsten finanziellen Kosten ist nicht mehr gültig. An ihre Stelle tritt der Grundsatz: Nur lebensnotwendige Produktion zu geringsten ökologischen Kosten. Oberste Leitlinien sind dabei:

1. Vollständige Wiederverwertung (Recycling) ohne Rücksicht auf die Kosten
2. Weitestgehende Energieeinsparung
3. Weitestgehende Rohstoffschonung
4. Ökologie geht vor Ökonomie.”

aus: Herbert Gruhl: Ein Planet wird geplündert. Die Schreckensbilanz unserer Politik. Frankfurt/Main: S.Fischer 1975, S.293.

Abb.: Surya Darma: I Want My Beautiful Forest Come Back, 2016, indoartnow, im Internet.

ca. 85

06/02/2022 (3:17) Schlagworte: DE,Lesebuch ::

Wachstumsgrenzen

“Jetzt … sieht sich die Menschheit gezwungen, die Begrenztheit des von ihr bewohnten Planeten zur Kenntnis zu nehmen und bei ihrem Wirken auf ihm zu berücksichtigen. Zum erstenmal ist es lebensnotwendig, nach dem Preis unbeschränkten materiellen Wachstums zu fragen und Alternativen zu suchen, die dieses Wachstum nicht endlos fortsetzen. …

Wir vertreten die Ansicht, daß ein weltweiter Gleichgewichtszustand nur erreicht werden kann, wenn sich die Verhältnisse in den sogenannten Entwicklungsländern grundsätzlich verbessern … Das kann aber nur durch weltweite Maßnahmen erreicht werden.

Diese [aber] gibt es nicht: die bereits heutzutage gefährlich großen … Ungleichheiten werden vertieft werden. … Unser Weltsystem ist … nicht dazu geschaffen, derart egozentrische und zu Konflikten führende Verhaltensweisen der Erdbewohner noch länger zu gestatten. …

Ganz neue Verhaltensweisen sind erforderlich, um die Menschheit auf Ziele auszurichten, die anstelle weiteren Wachstums auf Gleichgewichtszustände führen …

Diese große Aufgabe ist eine Herausforderung unserer Generation. Sie darf nicht der nächsten überlassen werden. …

Die Hauptverantwortung liegt dabei bei den industriell entwickelten Nationen. … Sie … müssen … erkennen, daß … ihr hoher Entwicklungsstand nur dann gerechtfertigt ist und toleriert wird, wenn er nicht als Sprungbrett für eine noch raschere Entwicklung, sondern als Ausgangslage einer gleichmäßigeren Verteilung von Wohlstand und Einkommen auf der ganzen Erde benutzt wird. …

Wir können von einem praktischen Beginn überhaupt erst dann ernsthaft reden, wenn die Botschaft der Grenzen des Wachstums … wirklich akzeptiert und als äußerst dringlich anerkannt ist. Die Übergangsphase wird in jedem Fall schmerzhaft sein, sie verlangt ein außergewöhnliches Maß an menschlichem Scharfsinn und an Entschlußkraft. …

Wir glauben, daß eine große Zahl von Menschen jeden Alters und aus den unterschiedlichsten Lebensverhältnissen diese Herausforderung aufnehmen wird. …

Schließlich steht der Mensch nicht nur vor der Frage, ob er als biologische Spezies überleben wird, sondern ob er wird überleben können, ohne den Rückfall in eine Existenzform, die nicht lebenswert erscheint.”

aus: Club of Rome: Kritische Würdigung. In: Dennis Meadows: Die Grenzen des Wachstums. Bericht des Club of Rome zur Lage der Menschheit. Stuttgart: dva 1972, S.170-176.

Abb.: Klaus Staeck: Mietsache, Edition Staeck 1983, im Internet.

ca. 85

06/02/2022 (2:54) Schlagworte: DE,Lesebuch ::

Triggerwarnung

“Die Karriere der Triggerwarnung ist eine bemerkenswerte. Ursprünglich nutzten Psychologen den Begriff Trigger, um Reize zu bezeichnen, die eine traumatisierte Person spontan an die betreffende Erfahrung erinnern und Stresssymptome auslösen. …

Die Triggerwarnung existierte also lange Zeit nur in dem begrenzten Umfeld der Individualpsychologie, der Kreis der Menschen, für die sie ausgegeben wurde, war vergleichsweise klein. Mit dem Vietnam- und später dem Zweiten Golfkrieg und der wachsenden Zahl von Heimkehrern wuchs ihre Zahl in den USA an, ihre Leiden wurden breiter diskutiert

Anfang der 2000er-Jahre griffen schließlich Feministinnen den Begriff Triggerwarnung auf … Der Kontext … weitete sich … rasch aus und schwappte gut ein Jahrzehnt später auf amerikanische Campus … Der Begriff Triggerwarnung triggerte dort einige. …

Die Philosophin Kate Manne wies zu Recht darauf hin, dass Menschen, die durch bestimmte Inhalte in posttraumatische Angstzustände versetzt würden, ganz gewiss nicht vernünftig lernen können … Allerdings vergaß sie dabei die Relation. Nur in Menschen mit einer PTBS können Inhalte starke Stresssymptome hervorrufen. Bei den meisten, die in ihrem Leben ein Trauma erlebt haben, klingen die Symptome glücklicherweise ab und verschwinden. Sie werden nicht mehr getriggert. …

Wissenschaftler wie Payton Jones, Benjamin Bellet und Richard McNally … untersuchten die Wirkung von Triggerwarnungen … und kamen zu dem Schluss, dass sie wenig hilfreich sind. 2020 schrieben sie gar: ‘Wir fanden substanzielle Belege dafür, dass Triggerwarnungen die Sichtweise der Überlebenden auf ihr Trauma als zentral für ihre Identität gegentherapeutisch verstärken.’ …

Es bedeutete jedoch nicht das Ende der Triggerwarnung, denn da war sie der akademischen Debatte schon entflohen, und … breitet … sich im Rest der Welt munter aus. …”

aus: Wenke Husmann: Die unwahrscheinliche Karriere der Triggerwarnung, Zeit Online, 2.2.22, im Internet.

Abb.: Artvinatee, im Internet.

02/22

02/02/2022 (19:25) Schlagworte: DE,Lesebuch ::