MALTE WOYDT

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Buddhismus

“Wie töricht und hoffnungslos wäre einer, der vom Weg seines Lebens abwiche, um Gott zu suchen: ob er auch alle Weisheit der Einsamkeit und alle Macht der Sammlung gewänne, ihn verfehlte er. …

Alle Versenkungslehre gründet in dem gigantischen Wahn des in sich zurückgebognen menschlichen Geistes: er geschehe im Menschen. In Wahrheit geschieht er vom Menschen aus – zwischen dem Menschen und Dem, was nicht er ist. Indem der zurückgezogene Geist diesem seinen Sinn, diesem seinen Beziehungssinn abgsagt, muß er Das, was nicht der Mensch ist, in den Menschen hineinziehen, er muß Welt und Gott verseelen. Dies ist der Seelenwahn des Geistes. …

Wer … seine Haltung nur ‘erlebt’, nur in der Seele vollzieht, der mag noch so gedankenvoll sein, er ist weltlos – und alle Spiele, Künste, Räusche, Enthusiasmen und Mysterien, die sich in ihm begeben, rühren an die Haut der Welt nicht. Solang sich einer nur in seinem Selbst erlöst, kann er der Welt weder Liebes noch Leides tun, er geht sie nicht an. Nur wer an die Welt glaubt, bekomt es mit ihr selbst zu tun …

Wir … wollen das heilige Gut unserer Wirklichkeit, das uns für dieses Leben, und vielleicht für kein anderes, wahrheitsnäheres, geschenkt ist, heilig pflegen. … in der gelebten Wirklichkeit gibt es kein Denkendes ohne Gedachtes … Ein Subjekt, das sich des Objekts enthebt, hebt sich als wirkliches auf.”

aus: Martin Buber: Ich und Du. Heidelberg: Schneider 1958, S.72/73, 83, 84, 80 [hier in dieser Reihenfolge zusammengestellt]

Abb.: Lisa Teo Cheng Yen: Inner Peace, gallery1819, im Internet.

12/12

22/12/2012 (1:12) Schlagworte: DE,Lesebuch ::

Verhängnis

“Das biologistische und das historiosophische Denken dieser Zeit haben, so verschieden sie sich sahen, zusammengewirkt, um einen Glauben an das Verhängnis herzustellen, zäher und beklommener, als je einer bestand. … Es gilt als töricht, sich eine Freiheit zu imaginieren; man habe nur die Wahl zwischen resolutem und aussichtslos rebellischem Sklaventum. …

[Dabei ist] das einzige, was dem Menschen [wirklich] zum Verhängnis werden kann, … der Glaube an das Verhängnis [selbst]: er hält die Bewegung der Umkehr nieder.

Der Glaube an das Verhängnis ist ein Irrglaube von Anbeginn … vom Glauben an die Unfreiheit frei zu werden heißt frei werden.”

aus: Martin Buber: Ich und Du. Heidelberg:  Schneider 1958, S.52/53

Abb.: Kirchenfenster Saint-Dié.

12/12

22/12/2012 (0:57) Schlagworte: DE,Lesebuch ::

Liebe 2

“Gefühle begleiten das metaphysische und metapsychische Faktum der Liebe; aber sie machen es nicht aus; und die Gefühle, die sie begleiten, können sehr verschiedener Art sein. … Gefühle werden ‘gehabt’; die Liebe geschieht. Gefühle wohnen im Menschen; aber der Mensch wohnt in seiner Liebe. Das ist keine Metapher, sondern die Wirklichkeit: die Liebe haftet dem Ich nicht an, so daß sie das Du nur zum ‘Inhalt’, zum Gegenstand hätte; sie ist zwischen Ich und Du. … Liebe ist ein welthaftes Wirken. … Liebe ist Verantwortung eines Ich für ein Du: hierin besteht, die in keinerlei Gefühl bestehen kann, die Gleichheit aller Liebenden, vom kleinsten bis zum größten und von dem selig Geborgenen, dem sein Leben in dem eines geliebten Menschen beschlossen ist, zu dem lebenslang ans Kreuz der Welt geschlagenen, der das Ungeheure vermag und wagt: die Menschen zu lieben.”

aus: Martin Buber: Ich und Du. Heidelberg: Schneider 1958, S.18

Abb.: Marc Chagall: Lovers near Bridge, 1948, im Internet.

12/12

22/12/2012 (0:38) Schlagworte: DE,Lesebuch ::

Gegenwart 2

“… die eigentliche Grenze … führt weder zwischen Erfahrung und Nichterfahrung, noch zwischen Gegebenem und Ungegebenem, noch zwischen Seinswelt und Wertwelt hin, sondern … zwischen Gegenwart und Gegenstand.

Gegenwart … gibt es nur insofern, als es Gegenwärtigkeit, Begegnung, Beziehung gibt. Nur dadurch, daß das Du gegenwärtig wird, entsteht Gegenwart.

… insofern der Mensch sich sich an den Dingen genügen läßt, die er erfährt und gebraucht, lebt er in der Vergangenheit, und sein Augenblick ist ohne Präsenz. Er hat nichts als Gegenstände; Gegenstände aber bestehen im Gewesensein.

Gegenwart ist nicht das Flüchtige und Vorübergleitende, sondern das Gegenwartende und Gegenwährende. Gegenstand ist nicht die Dauer, sondern der Stillstand, das Innehalten, das Abbrechen, das Sichversteifen, die Abgehobenheit, die Beziehungslosigkeit, die Präsenzlosigkeit. Wesenheiten werden in der Gegenwart gelebt, Gegenständlichkeiten in der Vergangenheit.”

aus: Martin Buber: Ich und Du. Heidelberg:  Schneider 1958, S.16

12/12

22/12/2012 (0:30) Schlagworte: DE,Lesebuch ::

Anführungszeichen

“Es hat eine eigenartige Wirkung auf ein Wort, wenn es in Anführungszeichen gesetzt wird: Anfang ist etwas ganz anderes als “Anfang”. Man heftet etwas Unaussprechliches, Zweideutiges, Doppelbödiges und Buckliges an das Wort, wenn man es in Anführungszeichen setzt. Man kann das mit vollkommen nichtsahnenden, völlig unschuldigen Wörtern machen, man könnte zum Beispiel Konjunktionen und Präpositionen in Anführungszeichen setzen – die nichtssagensten und harmlosesten unter unseren Brüdern, den Wörtern. Nehmen wir an, ich setzte die Wörter: und, auf oder gegen in Anführungsstriche. Also: Der Bürgermeister “und” seine Frau. Oder: Ich legte das Buch “auf” den Tisch. Auf diese Weise kann man auf der Welt allerlei ins Wanken bringen. Er ging “gegen” das Rathaus. Wenn man nihilistisch genug ist, kann man auch das unschuldigste aller Worte, das Zeichen des Infinitifs nehmen, um es zu mißbrauchen und auf folgende Weise zu schänden. Es begann “zu” regnen. Kann man die Welt mit weniger Begeisterung ansehen?”

aus: Jens Bjørneboe: Der Augenblick der Freiheit, Hamburg: Merlin 1968 (norwegische Originalausg. 1966), S.25.

02/12

09/02/2012 (0:12) Schlagworte: DE,Lesebuch ::

Lachen

“Diejenigen, die diese Kultur, die Renaissance, schufen, lachten über Grausamkeiten. Unsere ganze neue Welt und unsere moderne Kultur wurden in der Toskana geboren; die ganze inkarnierte, präzise, empirische Kunst und die ganze exakte Naturwissenschaft – alles kommt aus den Steinstädten der Toskana. Und die Toskaner waren gefürchtet wegen ihres Lachens. Die Florentiner waren neidisch und boshaft, aber witzig. Sie waren großartige Beobachter, kühl und mit Abstand; – sie lehrten die Welt, zwischen Willkür und Gesetzmäßigkeit zu unterscheiden. …

… dieses Gelächter ist der Grund dafür, daß die Toskaner die Naturwissenschaft erfanden und die klare toskanische Zeichnung in ihrer kühlen Malerei; das Gelächter bedeutet Abstand. Umgekehrt: wo nicht gelacht wird, beginnt die Geisteskrankheit. … In dem Augenblick, in dem man die Welt ganz ernst nimmt, ist man potenziell geisteskrank. Die ganze Kunst, zu lernen, wie man sich am Leben erhält, liegt darin, daß man am Lachen festhält; ohne Lachen ist die Welt eine Folterkammer, eine dunkle Stätte, in der dunkle Dinge mit uns geschehen, eine Schreckenskammer blutiger Gewaltakte.”

aus: Jens Bjørneboe: Der Augenblick der Freiheit, Hamburg: Merlin 1968 (norwegische Originalausg. 1966), S.133/134.

Abb.: Barbara Kruger: Untitled.

02/12

09/02/2012 (0:04) Schlagworte: DE,Lesebuch ::

Geben und Nehmen

“Ich gebe – du gibst – er nimmt.

Die Nehmer bringen die Konjugationen durcheinander. Er – sie es gibt müßte es ja eigentlich weitergehen, aber: Er nimmt. Die Nehmer vermehren sich.

Unser Miteinanderleben soll ein ständiges Geben und Nehmen sein. Ich gebe ihr oder ihm mein Vertrauen, er oder sie nimmt es. …

Die Nehmer sind die eigentliche Bedrohung unseres Gemeinwesens. Sie nehmen Arbeit und diese damit anderen weg, sie nehmen Lohn und damit denen, die ihnen diesen geben, die Lust an der Innovation, die Motivation, damit die letzte Bindung an die Nation, denn wo das Geld winkt, kein Deutschlandlied erklingt. Die Spezies der Geber, die im Lande bleiben wollen, steht bereits unter dem Artenschutzgesetz.

Die großen deutschen Geldwaschstraßen, die Großbanken also, die in Frankfurt so herausragend die Skyline bestimmen, haben es schon sehr früh begriffen: Deutschland ist eine Eisscholle, man muß schauen, daß man auf das Festland kommt. Ohne Hilfe von Großbanken hätte es die großen Finanzskandale nie gegeben. Ja, geben, Kredite geben, Vertrauen schenken. Banken sind, wenn man ihrer Werbung glaubt, besser als Mutter Theresa. Denn Mutter Theresa will ja, daß die Menschen, um die sie sich kümmert, gesund werden, was rücksichtslos ist, denn dann müssen sie ja wieder von vorn … Die Banken handeln viel humaner und erledigen die Leute absolut. Sterbehilfe auf nette Art.

Banken haben es mit einer gefährlichen Art von Menschen zu tun, die das Geldwesen nicht versteht und trotzdem mehr aus dem Geld machen will, das ihr gar nicht gehört. Der Bank gehört es auch nicht. Und genau das vermitteln die, die eine Bank betreiben, nicht.

Der Banker gibt mir ein Geld, das ihm gar nicht gehört. Ich schieße ihm erst mal Geld vor, damit er mir Geld gibt. Sein Entschluß, mir Geld geben zu sollen, basiert auf seinem ‘Gesamturteil’, das er von mir gewonnen hat. Ich mußte ihm sagen, was ich mit seinem Geld, das gar nicht seins ist, machen will, während er mit meinem Geld, das nicht mehr meines ist, Gewinne machen will, die nicht meine sind. Zwischendurch hat er mich ausspionieren lassen, was ich denn für ein Typ bin, wann ich nach Hause komme, mit wem ich zusammenlebe, welchen Einfluß eine sie auf mich ausübt, könnte ja auch ein Er sein, was die Sache sofort komplizierter machen würde, wie ich Auto fahre, was ich und wieviel ich trinke, ob ich kreditrückzahlungsgefährdende Hobbys habe, was es mit meiner zukunftsgefährdenden Geundheit auf sich hat, denn ‘die Nachbarn haben ihn seltsam husten hören’. Ja. Geld nehmen, das einem nicht gehört, erfordert eine Bereitschaft, sich ausforschen zu lassen.

Wer etwas nehmen will, muß alles geben. Und wenn er Pech hat, landet er unter der Brücke und die Bank hat seine Eigentumswohnung. …”

aus: Dieter Hildebrandt: Gedächtnis auf Rädern, München: Goldmann 1999 (Orig.-Ausg. 1997), S. 93-94.

12/11

03/01/2012 (12:57) Schlagworte: DE,Lesebuch ::

Höflichkeit

“… In ihrer Gesellschaft wurde ich gewahr, daß echte Höflichkeit – einzige Möglichkeit menschlichen Zusammenlebens – anders und komplizierter ist, als ich es daheim und in den Erziehungseinrichtungen gelehrt worden war. Die ‘Disziplin‘, an die man mich als Kind gewöhnt hatte, war primitiv; die Schauspielerin bemühte sich mit ihren schönen und leichten Händen, den Zwang dieser primitiven Disziplin zu lösen. Sie lehrte mich, wahre Höflichkeit sei es nicht, wenn wir ein Rendezvous, zu dem wir keine Lust haben, auf die Minute einhalten; es sei höflicher, wenn wir die Möglichkeiten zu einem unangenehmen Rendezvous erbarmungslos im Keim ersticken. Sie lehrte mich, daß wir ohne Erbarmungslosigkeit niemals frei sein können und unseren Gefährten ewig zur Last fallen werden. Sie lehrte mich auch, daß man wohl grob, aber niemals unhöflich sein darf; man darf jemanden ins Gesicht schlagen, aber man darf ihn nicht langweilen; und eine Unhöflichkeit ist es, Zuneigung zu mimen, wo man von uns viel weniger erwartet.”

aus: Sándor Márai: Bekenntnisse eines Bürgers. Aus dem Ungarischen von Hans Skirecki. München: Piper 2000, (ungarische Originalausgabe 1934), S. 282/283.

12/11

13/12/2011 (14:41) Schlagworte: DE,Lesebuch ::

Ordnung 2

“Ich war überzeugt, Deutschland sei sie klassische Heimat exemplarischer Ordnung; wie ich es zu hause und in der Schule gelernt hatte. In der Tat, was für eine Ordnung überall herrschte, in den Museen, auf den Bahnhöfen und auch in den Privatwohnungen! Nur in den Seelen, den deutschen Seelen, herrschte keine ‘Ordnung’; in denen war es dunkel, wogte Nebel, der Nebel blutiger und nicht gerächter, nicht gesühnter Mythen. … Und als ich nach Frankreich kam, graute mir vor der allgemeinen Unordnung. Es dauerte Jahre, bis ich lernte, was ‘Ordnung’ ist – es dauerte Jahre, bis ich begriff, daß bei den Franzosen der Müll tatsächlich unter die Möbel gekehrt wird, aber strahlende Ordnung und hygienische Klarheit in den Hirnen herrscht.”

aus: Sándor Márai: Bekenntnisse eines Bürgers. Aus dem Ungarischen von Hans Skirecki. München: Piper 2000, (ungarische Originalausgabe 1934), S. 274.

Abb.: Klaus Staeck: Ordnung muß sein, 1987, Edition Staeck, im Internet.

12/11

13/12/2011 (13:50) Schlagworte: DE,Lesebuch ::

Pflicht

“Ich verhielt mich jedenfalls wie ein Kind, das unverhofft ein riesiges Spielzimmer geschenkt bekommen hat. Dieses Spielzimmer mit einem turmhohen Haufen erlesener und erregender Spielsachen in jeder Ecke war die Welt. Beim Spielen – das Reisen, der Umgang mit Menschen, dies alles enthielt für mich etwas Spielerisches – beschlich mich zuweilen ein sonderbares, fast schmerzliches Verantwortungsgefühl. Ich war in einer Angst befangen, als ließe ich mir absichtlich einen lebenswichtigen Auftrag entgehen. Ich hatte unheimlich viel zu tun, nur wußte ich nicht, wo ich den Anfang machen sollte. Es dauert lange, bis man lernt, daß man eigentlich nichts zu tun hat; und dann fängt man meistens endlich irgendwo an.”

aus: Sándor Márai: Bekenntnisse eines Bürgers. Aus dem Ungarischen von Hans Skirecki. München: Piper 2000, (ungarische Originalausgabe 1934), S. 235.

12/11

13/12/2011 (12:38) Schlagworte: DE,Lesebuch ::
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