MALTE WOYDT

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Öffentlicher Raum

“Die ‘Privatisierung öffentlicher Räume’ wird schon seit einigen Jahren als deutlichstes Krisenphänomen genannt. Aber was ist damit gemeint? Bei genauerem Hinschauen zeigt sich, dass das ein äußerst schillernder Begriff ist. …

Gibt es eine Flächenbilanz, die die These von der Zunahme privater Raum-Produktion in den Städten belegt? … ist Stadtentwicklung nicht immer (schon) Aufgabe privater Akteure? …

Die Arbeitersiedlungen etwa: Erbaut von Unternehmern und bis ins Detail des alltäglichen Verhaltens ihrer Bewohner von eben diesem Unternehmen kontrolliert. … Im Ruhrgebiet ist von ‘verbotenen Städten’ die Rede. Damit werden die riesigen Werksgelände des Montankomplees angesprochen, die durch Mauern und Werksschutz von der Außenwelt abgeschirmt waren, Areale mit Straßen, Plätzen, Schienen und zahlreichen Gebäudekomplexen, deren Größe die alten historischen Kerne der Städte, an die sie sich anlehnten, oft um ein Mehrfaches übertrafen. …

Viele scheinen beim Stichwort ‘Privatisierung’ davon auszugehen, dass ehemals öffentlich nutzbare Räume privat angeeignet und reguliert würden. Eine solche Usurpation dürfte jedoch eine seltene Ausnahme sein … Die Regel ist vielmehr, dass von privaten Akteuren auf privatem Grund zusätzliche Räume produziert werden. …

Wer von ‘Privatisierung’ spricht, kann also keine mengenmäßige Reduktion nutzbarer Räume meinen. Vielmehr gibt es gute Gründe zu der Annahme, dass seit den 80er-Jahren eher eine deutliche flächenmäßige Ausweitung öffentlicher Räume in den Städten zu verzeichnen ist:

  • Die Innenentwicklung führt dazu, dass viele vormals abgeschottete Bereiche (Bahn-, Hafen-, Kasernen-, Industriegelände) wieder zugänglich wurden: Auch hier entstanden Parks, Plätze, Straßen.
  • Verkehrsberuhigung, Wohnstraßen, Erweiterungen von Fußgängerzonen etc. führten … seit den 70er-Jahren zu einem Rückgewinn öffentlichg nutzbarer (nicht nur dem Verkehr zugewiesener) Räume. …”

aus: Klaus Selle: Öffentliche Räume in der europäischen Stadt – Verfall und Ende oder Wandel und Belebung? Reden und Gegenreden. In: Walter Siebel: Die europäische Stadt, Frankfurt: Suhrkamp 2004, S.135-140

Abb.: Simon Weckert: Google Maps Hacks, 2020, im Internet.

06/09

01/08/2009 (12:35) Schlagworte: DE,Lesebuch ::

Stadt 1

Europäische Stadtgeschichte ist Emanzipationsgeschichte. … Emanzipation des Wirtschaftsbürgers, des Bourgeois, aus den geschlossenen Kreisläufen des ganzen Hauses zur offenen Organisation der Ökonomie als Marktwirtschaft, und des politischen Bürgers, des Citoyen, aus feudalistischen Herrschaftsverhältnissen zur Selbstverwaltung einer Stadtgemeinde freier Bürger. …

… die Europäische Stadt [ist] Ort einer besonderen, eben urbanen Lebensweise, die den Stadtbewohner vom Landbewohner unterscheidet. … [Sie ist gekennzeichnet durch die] Polarität von Öffentlichkeit und Privatheit … [Die Grundregel der öffentlichen Sphäre ist], Distanz zu wahren. Demgegenüber ist die Wohnung… der Ort des Privaten, wo sich die Individuen mit all ihren Eigenschaften und Rollen vertraut sind. Ihre Grundregel ist Unmittelbarkeit. …

Die Größe ihrer Bevölkerung, die Dichte ihrer Bauweise und die Mischung der sozialen Gruppen und der städtischen Funktionen, das unüberschaubare und enge Mit- und Nebeneinander von Arm und Reich, Jung und Alt, Zugezogenen und Eingesessenen, von Arbeiten, Wohnen, Vergnügen und Verkehr macht die europäische Stadt zum Ort der Kommunikation, der Arbeitsteilung, der Erfahrung von Differenz, der produktiven Auseinandersetzung mit dem Fremden und damit zum innovativen Ort im Gegensatz zur ‘Idiotie des Landlebens‘ (Marx). …

Voraussetzung für das Funktionieren kommunaler Selbstverwaltung ist die Stadt als Einheit des Alltags ihrer Bürger. Heute aber organisieren mehr und mehr Bürger ihren Alltag automobil über verschiedene Gemeinden hinweg. Man wohnt in A, arbeitet in B, kauft ein in C und fährt durch D mit dem Auto. Also sehen sich die Gemeinden Kunden gegenüber, die sehr spezifische Leistungen verlangen: von A ungestörtes Wohnen, von B einen expandierenden Arbeitsmarkt, von C genügend Parkhäuser in der Fußgängerzone und von D Schnellstraßen. …

Die Gesellschaft, die die Gestalt der traditionellen europäischen Stadt hervorgebracht hat, existiert nicht mehr. Deshalb verschwindet diese Gestalt auch im Siedlungsbrei der großen Agglomerationen. Sie wieder herstellen zu wollen, wäre der aussichtslose Versuch, die Hülle der Gesellschaft des neunzehnten Jahrhunderts ohne diese Gesellschaft bauen zu wollen. …

In dem Maße, wie die Stadt nicht mehr politisch, ökonomisch und sozial besonderer Ort ist, lößt sich auch ihre Gestalt auf. … An die Stelle der zentralen Kernstadt und eines abhängigen Suburbia tritt mehr und mehr ein regional und dezentral organisiertes, netzartiges Geflecht eigenständiger Gemeinden. …

… der Ruf nach Kreativität, den so viele Stadtplaner anheben, wenn ihnen die Rettung der europäischen Stadt am Herzen liegt, [hat] etwas vom Pfeifen im Wald. Mit einfallsreichen Plänen und verführerischen Visionen lassen sich strukturelle Entwicklungen nicht umkehren. Das gelingt nur, wenn Gegensteuerung auf Gegenkräfte setzen kann. Welche könnten das sein …? …

… die Triebkräfte der Suburbanisierung [scheinen] schwächer zu werden. Suburbanisierung ist ein Familienmodell. Sie wird wesentlich getragen von der Nachfrage junger Familien nach mehr Wohnfläche im Eigentum. Der Anteil der Zweigenerationenhaushalte an allen Haushalten geht aber zurück. … Die Lebensweisen verändern sich. Die Zahl der neuen Haushaltstypen, der Singles, der unverheiratet zusammenlebenden Paare, der Wohngemeinschaften und Alleinerziehenden wächst. Sie sind weniger am Eigenheim im Grünen interessiert. … An die Stelle des traditionellen Haushalts als Reproduktionsbasis und back-stage treten die Stadt als Versorgungsapparatur sowie das Angebot billiger und williger Haushaltsbediensteter aus den innerstädtischen Migrantenquartieren. Das Nebeneinander aufgewerteter und heruntergekommener Wohngebiete innerhalb der Stadt kann also durchaus auch funktional sein …

Indem … [historische Bausubstanz] an die abgelebten Möglichkeiten städtischen Lebens erinnert, hält sie das Wissen wach, dass auch die gegenwärtige städtische Realität nur eine von vielen Möglichkeiten städtischen Lebens darstellt. Historisch überkommene Gebäude halten Distanz zu ihren aktuellen Nutzern und Nutzungen. Damit schaffen sie Möglichkeitsräume, Spannungen zwischen verschiedenen möglichen Deutungen …”

aus: Walter Siebel: Einleitung. In ders.: Die europäische Stadt, Frankfurt (Main): Suhrkamp, 2004, S. 13, 14, 16, 23, 35, 40, 41, 44 , 45, 50

Abb.: Safwan Bashir: ohne Titel, im Internet.

06/09

01/08/2009 (11:36) Schlagworte: DE,Lesebuch ::

Undank

“Ich pflege einen Unterschied zu machen zwischen Nichtdankbarkeit, Undank und Widerwillen gegen den Dank. Jene erste ist dem Menschen angeboren, ja anerschaffen: denn sie entspringt aus einer glücklichen leichtsinnigen Vergessenheit des Widerwärtigen wie des Erfreulichen, wodurch ganz allein die Fortsetzung des Lebens möglich wird. Der Mensch bedarf so unendlich vieler äußeren Vor- und Mitwirkungen zu einem leidlichen Dasein, daß wenn er der Sonne und der Erde, Gott und der Natur, Vorvordern und Eltern, Freunden und Gesellen immer den gebührenden Dank abtragen wollte, ihm weder Zeit noch Gefühl übrig bliebe, um neue Wohltaten zu empfangen und zu genießen. Läßt nun freilich der natürliche Mensch jenen Leichtsinn in und über sich walten, so nimmt eine kalte Gleichgültigkeit immer mehr überhand, und man sieht den Wohltäter zuletzt als einen Fremden an, zu dessen Schaden man allenfalls, wenn es uns nützlich wäre, auch etwas unternehmen dürfte. Dies allein kann eigentlich Undank genannt werden, der aus der Roheit entspringt, worin die ungebildete Natur sich am Ende notwendig verlieren muß. Widerwille gegen das Danken jedoch, Erwiderung einer Wohltat durch unmutiges und verdrießliches Wesen ist sehr selten und kommt nur bei vorzüglichen Menschen vor: solchen, die mit großen Anlagen und dem Vorgefühl derselben, in einem niederen Stande oder in einer hilflosen Lage geboren, sich von Jugend auf Schritt vor Schritt durchdrängen und von allen Orten her Hülfe und Beistand annehmen müssen, die ihnen denn manchmal durch Plumpheit der Wohltäter vergällt und widerwärtig werden, indem das, was sie empfangen, irdisch und das, was sie dagegen leisten, höherer Art ist, sodaß eine eigentliche Kompensation nicht gedacht werden kann …”

aus: Johann Wolfgang von Goethe: Dichtung und Wahrheit, Goethes Werke in zehn Bänden, Zürich: Artemis 1962, S.450-451.

07/09

01/08/2009 (0:28) Schlagworte: DE,Lesebuch ::

China 1

(NL)

“Der Leiter der Wirtschaftshochschule von Shanghai sagte mir einmal: Vergiß nicht, daß China vor 150 Jahren das Zentrum der Welt war. Wer auch immer irgendwo auf der Welt ankam, überall waren chinesische Schiffe schon da. Damals haben sie die Tür zugemacht. Der Kaiser machte aus China ein geschlossenes Land. Jetzt ist China zurück in der Welt. Und dann sagte er: Nun, die zweihundert Jahre, die wir weg waren, sind genau die Dauer der Geschichte der USA.”

Alvin Toffler, im Interview mit De Morgen, 7.3.9, meine eigene Übersetzung.

Abb.: Julie Zuh: Harmony, gallery1819, im Internet.

03/09

09/03/2009 (21:30) Schlagworte: DE,Lesebuch ::

055) Fanta?

Warum ist belgische Fanta viel blasser als deutsche?

12/12/2008 (11:15) Schlagworte: DE,Fragen ::

054) Mao in Europa?

Gibt es Chinesen, die begreifen, warum Maos Rotes Buch in Europa ein so großer Verkaufserfolg war?

12/12/2008 (10:43) Schlagworte: DE,Fragen ::

Israel 1

“Ein Mensch wohnt im obersten Stock eines Hauses, in dem ein Brand ausbricht. Um sein Leben zu retten, springt er aus dem Fenster und landet auf dem Kopf eines zufällig daherkommenden Fußgängers, der schwer verletzt wird. Zwischen den beiden bricht ein bitterer Streit aus, der von Tag zu Tag eskaliert.”

Isaac Deutscher, zitiert bei: Uri Avnery: In den Feldern der Philister, Kreuzlingen/München: Diederichs (Hugendubel) 2005, S.16.

Abb: Ella Littwitz: Yesterday (2002), Copperfield Gallery London, im Internet.

12/08

07/12/2008 (22:40) Schlagworte: DE,Lesebuch ::

053) Guter Zweck?

Hier in Belgien bin ich zum ersten Mal auf eine seltsame Art von sozialem Engagement gestoßen: Sport treiben für den guten Zweck. Meine Töchter rasen mit der Schule auf dem Dreirad um den Block für den guten Zweck, jemand anders fährt mit dem Fahrrad von Brüssel nach Kinshasa für den guten Zweck.

Den Kindern macht das natürlich Spaß aber wo ist der Zusammenhang mit dem guten Zweck? Man erwartet von uns, daß wir Geld spenden, um einen guten Zweck zu unterstützen, weil jemand anders mit dem Fahrrad fährt. Wo bleibt die Logik?

Entweder finde ich den Zweck auch gut und habe Geld dafür über, dann kann ich das auch ohne radfahrende Kinder tun, oder eben nicht. Warum die Kinder dafür einspannen? Warum den Kindern erzählen, sie täten anderen etwas Gutes mit ihren Dreirädern? Und warum muß jemand, dem es Spaß macht mit dem Fahrrad durch Afrika zu fahren uns dazu drängen aus Anlaß seines Urlaubes Geld zu spenden? Ich verstehe nur Bahnhof, für mich ist das nur aufdringlicher Quatsch. Kann mich jemand aus meinem Unverständnis befreien???

22/09/2008 (9:43) Schlagworte: DE,Fragen ::

052) ungewaschen?

Woher kommt die Idee, daß es ungesund sei, sich – bzw. seine Kinder – mehr als zweimal pro Woche zu waschen? Stimmt mein Eindruck, daß das eine typisch-deutsche Idee ist? Jedenfalls habe ich von anderen noch nie Argumente gegen tägliches Duschen gehört…

07/09/2008 (9:56) Schlagworte: DE,Fragen ::

051) Aufladbare Batterien

Warum wird immer noch für aufladbare Batterien geworben? Uhren laufen falsch, Waagen wiegen schlecht, man kommt doch nicht um klassische Einwegbatterien herum!

30/08/2008 (10:23) Schlagworte: DE,Fragen ::
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