MALTE WOYDT

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Wertewandel

“… Dabei stellte sich als wichtigster Befund heraus, dass es einen entscheidenden Unterschied gibt, der die Werte einer Gesellschaft bestimmt: einerseits Gesellschaften, in denen die Mitglieder aller Klassen oder Schichten, so arm sie im Vergleich zu anderen Angehörigen der Gesellschaft auch sein mögen, ihr Überleben für gesichert halten, und andererseits Gesellschaften, in denen dies nicht der Fall ist. Die Scheidemarke liegt bei rund 10000 Dollar jährlichem Pro-Kopf-Einkommen. Diese Erkenntnis stammt von dem amerikanischen Soziologen Ronald Inglehart …

Wo der individuelle Job entweder keine ausreichende Sicherheit bietet oder gar nicht erst vorhanden ist, zählt das Kollektiv mehr als das Individuum – denn nur das Kollektiv garantiert das Überleben. Dieses Kollektiv ist in der Regel, weltweit an erster Stelle, die Familie. …

Der Wertewandel hinkt … der ökonomischen Entwicklung immer um mehrere Generationen hinterher …

Falls die Türkei in den kommenden Jahren weiterhin hohe wirtschaftliche Wachstumsraten aufweisen und die Gesellschaft insgesamt reicher werden wird, während die wirtschaftliche Entwicklung in den bisher reichsten Ländern der EU weiter stagniert, ist anzunehmen, dass ein relevanter Teil der türkischen Gesellschaft sich bald an die Mehrheit der Menschen innerhalb der EU anpassen wird …”

aus: Jürgen Gottschlich / Dilek Zaptcioglu: Das Kreuz mit den Werten. Über deutsche und türkische Leitkulturen. Hamburg: Körber 2005, S. 44-87.

12/07

06/01/2008 (21:28) Schlagworte: DE,Lesebuch ::

Fremde

Die Türken denken: Dieses Land spricht sehr viel über seine ‘Fremden’, wohl um zu verdrängen, dass es seit Jahrzehnten ein Land ist, in dem zumindest die Bewohner der größeren Städte einander fremd geworden sind und aneinander vorbeileben. In den Augen der Türken sind sich in Deutschland alle Menschen fremd. jeder geht ‘seinen eigenen Dinge‘ nach und hat Angst davor, dabei gestört zu werden. Das Leben besteht daraus, seine eigenen Pläne zu verwirklichen, koste es, was es wolle – das ist der Eindruck den deutsche Bekannte auf Türken oft hinterlassen. Jeder ist auf sich gestellt und will seine Ruhe haben. Deutsche Sätze beginnen stets mit ‘Ich’; von dem Anderen etwas zu erwarten ist verpönt und gilt als Schwäche. … Man lebt und stirbt hier einsam und wird erst entdeckt, wenn der Leichnam zu stinken beginnt. Das sagen die Türken über Deutsche.”

aus: Jürgen Gottschlich / Dilek Zaptcioglu: Das Kreuz mit den Werten. Über deutsche und türkische Leitkulturen. Hamburg: Körber, 2005, S.30/31.

12/07

06/01/2008 (21:04) Schlagworte: DE,Lesebuch ::

Guten Tag

“Die Türken sagen, ‘der Deutsche‘ grüßt immer, zu jeder Gelegenheit mit dem passenden Wort: ‘Guten Morgen‘, ‘Tag’ und ‘Abend’ oder ‘Gute Nacht’. Und ab Mitternacht heißt es dann wieder ‘Guten Morgen’, selbst wenn es draußen noch stockfinster ist, ‘Mahlzeit!’, auch wenn man gerade nichts isst, und ‘Schönen Feierabend’, wenn einem gar nicht nach Feiern zu Mute ist. Das geht den Deutschen mechanisch über die Lippen, und in Wirklichkeit interessiert es ihn nicht besonders, wie es seinem Nachbarn oder Kollegen geht. Der Gruß ist eine Floskel. Aber es ist und bleibt ein Rätsel für Türken, wie der Deutsche an diesem Lippenbekenntnis festhalten kann. Geht mal einer ohne eine Erwiderung an einem so Grüßenden vorbei, wird der Deutsche sich umsehen, als ob man ihm einen lebenswichtigen Wunsch abgeschlagen hätte.”

aus: Jürgen Gottschlich / Dilek Zaptcioglu: Das Kreuz mit den Werten. Über deutsche und türkische Leitkulturen. Hamburg: Körber 2005, S.30.

12/07

06/01/2008 (12:45) Schlagworte: DE,Lesebuch ::

Moderne Sozialdemokratie

Eigentlich ist ganz einfach zu verstehen, warum sich die Sozialdemokratie in den letzten zwanzig Jahren so weit von ihren früheren Stammwählern entfernt hat: Die Bildungsrevolution ist schuld! Es waren die Sozis selbst, die in den siebziger Jahren die Universitäten so stark ausgebaut haben. Das hatte zur Folge, daß in den achtziger Jahren alle SPDOrtsvereine von Akademikern überrannt wurden. Von Akademikern, die die anderen einfach gegen die Wand redeten oder argumentierten. Zunächst sorgte das für einen gewissen “Linksruck”, wenn auch ein seltsames “Links“, ein neues “Links” von Umweltschutz und “Atomkraft, nein Danke!”, von “Pershings go home!”. Das war, als die neuen Akademiker noch jung waren, und noch nicht so viel verdienten…

Als dieselben Leute aber plötzlich alle die 2000-Mark-netto-im-Monat-Grenze, bei der bekanntlich “die Gegenaufklärung beginnt“, überschritten hatten, ging alles ganz schnell: Moderne Sozialdemokratie, Dritter Weg, Public-Private-Partnerships, Aktiver Sozialstaat, Shareholer Value und ehe man sich versah, war der Sozialstaat verschwunden…

Und die Arbeiter, die wählen dann entweder gar nicht, oder die einzigen Arbeiterparteien, die noch übrig sind, die Erben der NSdArbeiterPartei… Schon vergessen?

Malte Woydt

12/07

27/12/2007 (22:20) Schlagworte: DE,Notizbuch ::

Maltes und Gaëtanes Lieblingslokale

Version 02/2015: Viele Lokale sind verschwunden…

Alle hier aufgeführten Lokale halten sich preislich sehr im Rahmen, sind meist recht gemütlich, und bieten alle super Essen

Kleine Übersetzung aus den hier gebräuchlichen Sprachen, um Verwirrungen zu vermeiden: “café” oder “bar” heißt Kneipe. “salon de thé” und “koffiehuis” heißt Café. “terasse” heißt, man kann draußen sitzen, also etwa Straßen- oder Gartencafé, aber auch Restaurants können so etwas haben. In “restaurants” ist es wie bei uns nicht gern gesehen, wenn man nur etwas trinken will. “brasserie” oder “eetcafé” zeigt dagegen an, daß man eine Mischung aus Kneipe und Restaurant vor sich hat, und sowohl einfach nur einen Trinken als auch (häufig in guter Restaurantqualität) eine kleine Speisekarte zur Auswahl hat. “fritkot” ist ‘ne Frittenbude, in die meisten Kneipen um eine Frittenbude herum, die nicht selber etwas zum Essen anbieten, kann man die Fritten mitbringen (vorher fragen!). “Pide Salonu” ist eine Art türkische Brasserie, ein Zwischending zwischen Imbißstube und Restaurant.

Vielleicht stimt es tatsächlich, daß auswärts Essen hier etwas teurer ist als in Deutschland, insbesondere im billigsten Preissegment. Man sollte beim Vergleich beachten, daß die in Deutschland üblichen 10% Trinkgeld hier nicht auf den ausgeschrieben Preis aufgeschlagen werden müssen, man legt in Belgien nur ein paar Groschen auf den Tisch, vielleicht 50 Eurocents oder einen Euro. Trinkgeld ist allerdings in der Disco (beim Herausgehen an den Türsteher) und im Kino (die Kartenabreißerin bekommt sonst kein Gehalt!!) fällig. Auf jeden Fall entschädigen die niedrigen Brüsseler Getränkepreise für die etwas teureren Gerichte. Hier kostet eine Cola meist noch 1,80 Euro.

1) Innenstadt

zum Ausruhen vom Einkaufen und schnell was zu Mittag essen: Le Corbeau (etwas teurer), Rue St. Michel, Brüsseler Traditionsbrasserie, weniger als 20m von der Rue Neuve, also mitten im Trubel. Steak bearnaise (maison!) ausprobieren… In der Zwischenzeit hatten wir mehr als einmal beim Corbeau schlechte Überraschungen mit den Küchenzeiten erlebt – ohne uns sich erschließendes System ist die Küche häufig geschlossen, wenn man gerade etwas essen will.

Das Straßencafé vom Au St. Hic, Place Rouppe, (Tram 23,52,55,56,81 “Anneessens”, Bus 118,HL,LK,LN,RH “Rouppe”) – innen zu verraucht, aber draußen super. Immer noch mitten im Zentrum aber Oase der Ruhe, bietet zumindest eine gute scharfe “Bolo”, Spaghetti Bolognese. Nett auch das flämische Gemeinschaftszentrum De Markten (wenn Ihr kein Niederländisch sprecht, versucht es eher auf deutsch oder englisch denn auf französisch… :-)). Als Kneipen zum draußen sitzen sollten noch die Pioniere des Metiers genannt werden: Le Soleil, Ecke Rue de Grandes Carmes/Rue du Marché au Charbon und Zebra, Place St.Gèry.

Eine große Auswahl an vegetarischen Quiches und Gemüse-“tartes” bietet L’Arcadi, Rue d’Arenberg, direkt am Ausgang der Galerie St. Hubert (Bus 29,60,65,66,71 “Arenberg”). Das Lokal wurde irgendwann stark vergrößert, man findet trotzdem nicht viel leichter einen Tisch – und die Organisation der Bedienung hält mit der Vergrößerung leider nicht Schritt

Wer wie die meisten Belgier mittags einen Sandwich sucht, kann mit etwas Geduld beim Schlangestehen im Au Suisse am Bd. Anspach, schräg gegenüber von der Börse sicher auf seine Kosten kommen.

Nett ist Le papier de la feuille dorée, Rue des Alexiens in der Innenstadt und das (trotz Touristen nette) A la becasse, in einer namenlosen sehr schmalen Seitengasse, Rue Tabora 11, wo es – seltene Spezialität – frisches Lambic-Bier (dessen Gärprozeß nicht gestoppt wurde, weshalb es sich nicht lange hält) aus Tonkrügen gibt.

Von den vielen Lokalen in der Innenstadt fällt mir ein netter Vietnamese ein, Da Kao in der Rue Van Artevelde – gibt auch noch zahlreiche andere im Viertel, Vietnamesen und Chinesen bieten meistens ein sehr günstiges täglich wechslendes Mittagsgericht an. Unser Lieblingsitaliener in der Unterstadt ist das Mirante in der Rue Plattesteen 13, etwas schicker, sehr klein und voll – früh kommen, Reservierung unmöglich… (Bus 34,48,95,96 “Plattesteen”).

2) Marollen

In der Nähe des Place du Jeu de Balle, mit dem Flohmarkt kombinierbar: das Sozial-Kunst-Projekt Recyclart, im Bahnhof La Chapelle, Rue des Ursulines 25 (nette kleine Karte, wochenends und abends leider geschlossen), (SNCB, Bus 20,48,118,HL,LK,LN,RH “Chapelle”).

Die besten Pommes der Innenstadt am Fritkot auf dem Place de la Chapelle.

3) Oberstadt

Viel schöner ist es aber auf dem Place de la Liberté im Viertel Notre Dame de Neige, hinter dem belgischen Parlament – mehrere Cafés mit Tischen draußen unter Bäumen. Wir waren immer in dem links außen, das hat allerdings auch unterdessen Besitzer und Speisekarte gewechselt… In der Rue de l’Enseignement Il fantastico, ein guter Italiener, man wähnt sich in Rom…

4) Watermael-Boitsfort

Das atmosphärisch vielleicht netteste Lokal der ganzen Stadt ist das Psylophon, weit draußen in Boitsfort, Rue de l’Hospice Communal 90, Ecke Rue des Garennes (Tram 94 und Bus 41,42,95 “Wiener”). Gemischte Karte aus belgischen und exotischen Gerichten. Die ganze Straße ist sehenswert. Die Läden sind so wohnlich und die Wohnungen so offen, daß man beide von der Dekoration her nur schwer unterscheiden kann…

5) Schaerbeek

Wir wollen natürlich unsere früheren Nachbarn nicht vergessen, der allerdings leider nur nachmittags geöffnet hat: Glacier Cocozza, Av. des Azalées 8 (Bus 66 “Azalées”; www.cocozza.be). Im Park die Terasse des Schützenvereins Sebastiansgilde (seit 1565!), ein Café ohne erkennbaren Namen und der Minigolf, die nur Getränke servieren. (Bus 66 “Azalées”).

In Helmet die besten Dürüms der Stadt: Suslü, Ch. d’Helmet.

Gleich “um Ecke” ist die türkische Freßmeile von Schaerbeek und St.Josse, der Chaussee de Haecht. Vom Dönerladen bis zum Edelrestaurant mit Bauchtanz ist alles da. Wir ziehen die Pizzeria Koçak vor, nah der Eglise Royal Ste. Marie. (Bus 65,66 “Olivier”, Tram 92,93,94, Bus BM,BK,BH,BZ “Ste.Marie”). Dort Pidé Chef bestellen, am Schließtag ausweichen auf Pizzeria Lale nebenan. Den besten Döner von Brüssel gibt es bei Snack Pacha in der Rue Goossens am Place Pogge (Tram 92,93 “Pogge”, Bus 58,BH,BM,BZ “Collignon”), der Laden wird von einer sympathischen mazedonisch-albanischen Familie geschmissen und im Gegensatz zum Rest von Brüssel, wo man als “Pitta” mickerige Minilabberdöner bekommt, sind die hier riesig und in richtigem Fladenbrot, so wie wir das aus Deutschland kennen…

6) Uccle

Das Brüsseler Traditionseiscafé ist Glacier Zizi, vielleicht schon wegen des anzüglichen Namens. Mädchen mit weißen Rüschenschürzen balancieren große Eisbecherkreationen. Es ist weit draußen in Uccle, Rue de la Mutualité 57 (Ecke Rue Vanderkindere) (Tram 23,90,91,92 “Vanderkindere”).

7) St. Gilles

In St. Gilles gibt es auf dem “Parvis St. Gilles” (Tram 23,55,90) eine nette Art-Deco-Brasserie: Verschueren. Zwei volkstümliche griechische Lokale finden sich in der Rue de l’Argone einen Steinwurf vom Südbahnhof: “Athènes” und “Athanas”. Man sucht sich das – natürlich sehr gute – Essen in der Küche im Kochtopf aus und bekommt es dann zum Platz gebracht.

8) Am Friedhof von Ixelles

Eine ganze Reihe netter Lokale finden sich rund um den Eingang zum Friedhof von Ixelles und in der Chaussee de Bondael (Uni-Viertel, Bus 71,72,95,96 “Cimitière d’Ixelles”): La Becasse, Ch. de Bondael 476 mit sehr gemischtem Publikum macht hervorragende überbackene Zwiebelsuppe…

9) Europaviertel

Am Rande des Europaviertels unser Favorit: “Chez Max”, mit seinem superguten, reichhaltigem “Salade tiéde de Max”, Ecke Rue de Pavie, Rue Charles Quint (Bus 29 Clovis).

Ach so, beinahe hätte ich es vergessen, aber das wissen die meisten sowieso schon: Die angeblich besten, auf jeden Fall sehr guten Pommes gibt es Chez Antoine, mitten auf dem Place Jourdan (mein Tip: Sauce Chinoise piquant oder Sauce Quatre Poivre) – mit den Fritten in der Hand geht’s Chez Bernard gegenüber, um sie dort gemütlich im Sitzen zu essen und etwas dazu zu trinken.

In Ixelles gibt es hinter der Porte de Namur in der Chaussee de Wavre und der Chaussee d’Ixelles einen Haufen von Lokalen zum Ausprobieren, zur Hälfte voll mit Eurokraten, zur Hälfte mit Kongolesen, schön getrennt… An der Ecke Ch. de Wavre/Rue de la longue vie ist ein Pakistaner, [Name vergessen], eigentlich mehr ein Gemischwarenladen, der aber auch an zwei Tischchen scharfe pakistanische Gerichte serviert – unbedingt 1l Wasser mitbestellen! An der Stelle, wo die Chaussee de Wavre einen Knick macht um auf die Rue de Trone zuzulaufen (bus 34, 38, 60, 81, 95, 96 “Parnasse”), hat ein Iraner einen Laden aufgemacht (“Beermania”), in dem es alle 450 handwerklich hergestellten belgischen Biere zu kaufen gibt, und der vor einiger Zeit um ein Café erweitert wurde. Der Inhaber berät Euch für sein Leben gern bei der Auswahl des richtigen Bieres. Er scheint sogar etwas zu essen anzubieten.

11) Jette

Einmal in Jette sollte man auf keinen Fall das Café des Museums Atelier 140 verpassen (Bus 13 “Le Roux”). Museum wie Café werden von dem Polen Wodek unterhalten, der hier Kultur in eine ansonsten verschlafene Ecke der Stadt bringt. Am besten im Sommer, wenn Wodek sein Sofa auf die Straße stellt. Das Chalet Normand am Ende der Av. du Laerbeek ist ein altes Ausflugslokal mit Blick auf Wiese und Wald in der hintersten Ecke von Brüssel, linke Hälfte Selbstbedienung, rechts Brasserie – Einmalig an Sommerabenden, man wähnt sich weit weg (mehr als 10 min. Fußweg vom nächsten Bus: 84, 87 “Veroost” oder 13, 14, 53, 84, 221 “AZ-VUB”).

14) Anderlecht

Am Anfang der Rue de Porcelaine, direkt an der Kirche St.Guido (Metro 1B, Tram 56, Bus 46, 49, 116, 117, 118, LN “St.Guido”) liegt eine Taverne namens Les Treteaux, die haben bei schönem Wetter ein schönes Gartencafé unter den Bäumen, mit Blick auf die Kirche. Die Karte ist kurz, die Küche aber sehr gut.

12/12/2007 (1:43) Schlagworte: DE,uebermich ::

Praktikum in Brüssel?

letzte Änderung: 26.10.2

Jetzt trage ich doch noch mal ein paar Tips für potentielle Praktikanten zusammen, obwohl das bei mir ja schon etwas länger her ist. Aber ich treffe immer wieder auf Leute, denen man die grundsätzlichsten Dinge nicht erzählt hat…

1) Im EU-Brüssel hat ein Praktikum eine ganz andere Bedeutung als in Deutschland. Wenn Euch Brüssel als Jobmarkt interessiert, macht Praktika hier am besten nach dem Studium als mittendrin, da sie das Sprungbrett in bezahlte Jobs sind. Die meisten Lobbyistenbüros, Consultants, Subunternehmer der Kommission usw. die hier um die Europäischen Institutionen herumschwirren, haben keinen Nerv hunderte von Bewerbungen zu lesen. Wenn ein Job frei wird, werden häufig einfach Praktikanten gefragt, die gefallen haben. Die müssen dann aber auch vor Ort sein und sofort zur Verfügung stehen. Es gibt Leute, die ihr Studium für einige Jahre unterbrechen für einen Job hier und dananch wieder zurückgehen um die Magisterprüfungen vorzubereiten. Von der Politikervertrauten zurück zur Studentin und dann wieder auf den Arbeitsmarkt – Der einfachste Weg ist das bestimmt nicht.

2) Vielleicht das wichtigste an einem Praktikum in Brüssel ist, daß man da während eines Monats einen Schreibtisch vor Ort hat mit Fax, Internetzugang und Telefon. Ein Praktikum, daß einen so voll auslastet, daß man keine Zeit mehr zum Bewerbungen schreiben hat u.ä., taugt nicht viel. Manche Büros vereinbaren ausdrücklich eine Viertagewoche, um einem einen Tag für die Jobsuche freizuhalten – das halte ich für eine sehr gute Idee.

3) Ich habe immer gefunden, daß unbezahlte Praktika nie länger als einen Monat gehen sollten. In den ersten zwei Wochen investieren die in einen, in den zweiten zwei Wochen gibt man mit Arbeit zurück. In drei einmonatigen Praktika in verschiedenen Bereichen lernt man ungleich mehr als in einem dreimonatigen Praktikum am selben Platz!

4) Völlig verrückt fand ich die beiden Frauen, die ich einmal traf, von denen die eine sechs Monate gratis Praktikum beim DIHT und die andere neun Monate gratis Praktikum beim BDI gemacht hat, in der Hoffnung irgendwann einmal dem charmanten Unternehmer über den Weg zu laufen, der sie einstellte… Es gibt Organisationen, die so in Geld schwimmen, daß man wirklich nicht zu lange gratis für sie arbeiten sollen. Für das European Environment Bureau kann man das ruhig machen, aber doch nicht für den DIHT? In jedem Fall ist ein Praktikum immer unbezahlt, wenn vorher nichts anderes vereinbart wurde…

5) Erwartet nicht den Job fürs Leben. Die meisten Jobs hier sind an Projektmittel gebunden und gehen über einige Monate bis zu einigen Jahren. Der klassische Weg ist, sich hier von einem Job zum anderen zu hangeln, bis mal wieder ein Concours vor der Tür steht, dann auf das bereits erworbene Europawissen noch ein wenig Papierwissen dazu einzupauken und den Test bestehen. Ist alles machbar, keine Hexerei und mitnichten die Elite Europas, wenn die meisten Eurokraten sich auch dafür halten. Allerdings muß man das auch wollen. Willst Du wirklich Dein Leben als Rädchen einer schlechtgeölten Verwaltung zubringen? Dafür muß man schon ein Faible haben. Die Bezahlung ist so gut, daß viele, viele zu Tode gelangweilte und frustrierte Eurokraten den Absprung nicht wagen, weil sie überall anders weniger verdienen würden. Sie sitzen in der Falle… Leute, die nicht Eurokrat werden wollen oder den Test doch nicht bestanden haben, gehen häufig nach einigen Jahren wieder zurück nach Deutschland, wo sie (noch?) stabilere Jobs finden können und Europawissen händeringend gebraucht wird.

6) Ich habe mich von Anfang an mehr für Brüssel und Belgien als für Europa interessiert, deshalb hier natürlich auch ein Hinweis auf den – vom Europabusiness völlig getrennten – belgischen Arbeitsmarkt. Praktika sind da ziemlich unbekannt, die Leute aber meist sehr aufgeschlossen, wenn man ihnen das Prinzip erklärt. Natürlich sollte man dort französisch oder niederländisch oder am besten beide können :-) Interessante bezahlte Jobs werden in Belgien noch mehr als in Deutschland über Beziehungen vergeben. In Bereichen wo viel mehr Interessenten als Jobs da sind (z.B. im Kulturbereich), erfordert es einen langen Atem, um als AusländerIn einen Fuß in die Tür zu bekommen.

7) Noch zwei persönliche Tips: Unser geliebtes deutschsprachiges Käseblättchen, die Brüssel-Rundschau, nimmt regelmäßig PraktikantInnen (unbezahlt). Das ist ein ganz besonderer Job, da die Zeitschrift von so wenig Leuten gemacht wird, daß man als Praktikant den ganzen Produktionsprozeß mitmacht und neben gewissem Pflichtprogramm wie die Veranstaltungen der deutschen Länderbüros stark den eigenen Interessen folgen kann: Kulturveranstaltungen, politische Diskussionen, was auch immer – als Journalist ist man bevorrechtigt dabei, kann seiner Neugier freien Lauf lassen. Außerdem teile ich für KUBI das Büro mit der Rundschau, und finde es immer nett, interessante Praktikanten vorbeischneien zu sehen … Stadtplaner u.ä. mit guten Französischkenntnissen sollten sich mal bei meinem Brötchengeber ARAU melden, das deutschsprachige Programm könnte noch viel Marketing gebrauchen und parallel kann man lernen, wie in Brüssel Städtebau diskutiert wird.

auf bald, Malte

11/12/2007 (20:25) Schlagworte: DE,uebermich ::

über mich titel

titelstory

11/12/2007 (14:42) Schlagworte: DE,uebermich ::

Jahreszeiten

Die Gesellschaft teilt sich in jahreszeitenlose Menschen und Menschen, die die Jahreszeiten erleben.

Als Student habe ich Sommer erlebt, in denen die Temperatur in der Stadt wochenlang nicht unter 30 Grad sank. Selbst mitten in der Nacht liefen wir in T-Shirt, kurzer Hose und Sandalen herum. Wenn ich dann in einem solchen Sommer in den IC nach Hamburg einstieg, hatte ich das Gefühl, in einen Kühlschrank zu steigen, so stark war der Zug hinuntergekühlt. Um mich herum schien niemand darunter zu leiden, die Menschen waren wärmer angezogen als ich.
Als Stadtführer bin ich es gewohnt, mich im Winter warm anzuziehen, richtig warm, um in drei oder vier Stunden zu Fuß in der Stadt nicht zu frieren. Betrete ich ein Geschäft, beginne ich unmittelbar, gottserbärmlich zu schwitzen. Um mich herum scheint niemand darunter zu leiden, die Menschen sind weniger warm angezogen als ich. Andererseits habe ich oft Kunden, die während der Stadtführung am Bibbern sind, weil sie nicht warm genug angezogen sind. Viele Jugendliche scheinen gar nicht mehr zu wissen, wie man sich warm anzieht.

Genau genommen, sind die Menschen in den Geschäften genauso warm angezogen wie die Menschen im Zug damals: Das sind Leute, die aus ihrer großen, temperaturstabilen Wohnung in die Tiefgarage fahren, dort ihr klimatisiertes Auto besteigen, mit dem sie in die Tiefgarage ihres klimatisierten Büros oder Einkaufszentrums fahren.

Die Großraumwagen im Zug sind auf die Bedürfnisse dieser Menschen temperiert, die Läden auch. Aber nicht auf die meinen. Und ich denke nicht allein zu sein: Jedem, der im Freien arbeitet, dürfte es so ergehen wie mir. Auch jedem, der in kleinen schlechtisolierten Wohnungen wohnt, deren Temperatur mit der Außentemperatur mitgeht.

Haben wir es da nicht mit einem schönen Beispiel für die Klassengesellschaft zu tun? Die jahreszeitenlose Klasse der stabilen Temperatur und die Klasse der schwankenden Temperaturen, der Jahreszeiten? Früher konnte man im Zug die Temperatur Abteil für Abteil individuell einstellen, das war die Zeit, in der Individuen solche Entscheidungen noch zugemutet wurden. Heute gehen die Bahnkonzepteure davon aus, daß alle wichtigen Kunden dieselbe Temperatur haben möchten. Wir anderen wurden vergessen.

Die Welt ist noch viel mehr auf Autofahrer zugeschnitten, als wir gemeinhin denken. Wie soll man Menschen dazu bringen, zu Fuß zu gehen oder Fahrrad zu fahren, die Temperaturschwankungen nicht mehr gewöhnt sind? :-)

Malte Woydt

Abb.: Victoria Bee: Gioia Invernale, ca. 2025.

12/07

08/12/2007 (1:37) Schlagworte: DE,Notizbuch ::

Katholizismus

Die wichtigste Kulturgrenze, die Westeuropa durchschneidet, dürfte die zwischen katholischen und protestantischen Ländern zu sein. Die kulturelle Prägung ist dabei entscheidend, nicht eine offizielle Mitgliedschaft in der einen oder anderen Kirche.

Deutschland hat dabei eine protestantisch dominierte Kultur, dort haben auch die Katholiken protestantische Reflexe: Warum haben deutsche Katholiken so große Probleme mit der Sexualmoral des Papstes? Italiener haben doch auch keine Probleme damit, bei der Ostermesse auf dem Petersplatz dem Papst zuzujubeln und zuhause im Bett dann doch zu machen was sie wollen?

Italiener sind echte Katholiken. Deutsche Katholiken fassen den Katholizismus dagegen protestantisch auf. Es war die Reformation, die zurückwollte zum Wort, zurück zur Bibel. Die Bibel sollte ernstgenommen werden.

Deswegen haben die Protestanten dann ihren Leuten lesen und schreiben beigebracht. Noch vor 60 Jahren hatten die protestantischen Gegenden in Europa (und in Deutschland) einen riesigen Bildungsvorsprung gegenüber den katholischen Gegenden. In katholischen Ländern versuchten die Jesuiten Eliten heranzuziehen, die mit den Eliten der protestantischen Nachbarländer mithalten konnten, aber Breitenbildung war unwichtig.

In den protestantischen Ländern begann man derweil gesellschaftliche Probleme mit geschriebenen Regeln zu lösen, wo die Leute doch sowieso schon lesen konnten… Es ist eine zutiefst protestantische Idee, die Menschen Regeln internalisieren zu lassen: Protestanten haben Rechte und Pflichten. Und weil sie denken, Rechte zu haben, hauen sie in einer Behörde auch mal auf den Tisch, um dieselben durchzusetzen.

Katholiken dagegen gehen davon aus, daß Regeln sowieso nicht bis zu Ende durchdacht sind – warum sollte man sich dann daran halten? In katholischen Kulturen sind Regeln relativ, es sein denn, sie werden mit Zwang durchgesetzt, dann ist es aber auch egal, ob der Zwang Ausdruck von Willkür oder einer Regel ist. Katholiken haben Interessen und Zwänge. Ein Katholik haut nicht auf den Tisch, um ein “Recht” zu erlangen (unter dem er sich auch gar nichts vorstellen könnte), er versucht angesichts eines Hindernisses dann halt auf einem anderen Wege seine Interessen durchzusetzen, die Extrawurst als Prinzip.

Malte Woydt

Abb.: Tahiche Diaz: Ensuennno Paseante, 2015, im Internet.

11/07

27/11/2007 (15:05) Schlagworte: DE,Notizbuch ::

Utilitarismus

Das Menschenbild der neoklassischen Ökonomie, der rationale Nutzenmaximierer, ist ebenso eine Fiktion wie das ältere bildungsbürgerliche Idealbild einer ausschließlich von aufgeklärter Vernunft und dem Interesse am Wahren, Schönen und Guten geleiteten Existenz. … Dennoch wird das utilitaristische Handlungsmodell heute von vielen Menschen als realistisch angesehen, was bezüglich der Macht der Ideologien in unserem ‘postideologischen’ Zeitalter eine Menge aussagt. …

Wir würden uns selber maßlos überfordern, wenn wir in jeder Lage, die von uns ein Handeln erfordert, das Für und Wider aller sich bietenden Alternativen immer wieder neu abwägen müßten, um zu einer Entscheidung zu gelangen. Um den Alltag überhaupt einigermaßen bestehen zu können, müssen wir unser Handeln routinisieren, … müssen so handeln, wie es unserer Gewohnheit oder der Tradition entspricht.

Und noch etwas kommt hinzu: Nur wenn wir in der Regeln nach dem Maßstab des Üblichen handeln, wind wir auch für die anderen berechenbar, und nur weil wir berechenbar sind, weil wir in aller Regel so handeln, wie es die anderen von uns aufgrund vorgängiger Erfahrung erwarten, sind Zivilität und ein friedliches Zusammenleben unter Menschen überhaupt möglich. …

[In einer] Gesellschaft, in der die Beziehungen der Menschen untereinander vor allem von immer wieder neu anzustellenden utilitaristischen Kalkülen bestimmt werden … kann es kein die Menschen verbindendes Gemeinschaftsgefühl geben, ist die Vorstellung von einer die Individuen umgreifenden Schicksalsgemeinschaft schlicht abwegig. …

[Und] wo die Fähigkeit zur kritischen Selbstbefragung abstirbt, weil uns das Gefühl geschichtlicher Kontinuität oder ganz einfach die Zeit zum nachdenklichen Innehalten abhanden kommt, kann es letztlich auch so etwas wie Verantwortung für die eigenen Taten nicht mehr geben, Steuerung erfolgt dann allenfalls durch die Adhoc-Reaktionen der anderen oder durch die Informationen, die ‘der Markt’ den Marktteilnehmern vermittelt. Man kommt an, hat Erfolg, setzt sich durch – oder eben nicht. Die Frage nach Sinn oder Unsinn, Recht oder Unrecht des eigenen Handelns löst sich auf in die seiner Funktionalität.”

aus: Johano Strasser: Leben oder Überleben. Wider die Zurichtung des Menschen zu einem Element des Marktes. Zürich/München: Pendo 2001, S.260-265.

11/07

12/11/2007 (1:17) Schlagworte: DE,Lesebuch ::
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