MALTE WOYDT

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Meinungsmüde

Ich bin meinungsmüde. Jetzt ist es raus. Es gibt keinen Grund, mich dafür zu entschuldigen. Ich bin rechtschaffen meinungsmüde. Wenn die Leute sich schon wegen einer Straßenbahn (ja oder nein?) die Freundschaft kündigen, dann stimmt etwas nicht. Fundamental. …

Müde bin ich der Meinungen anderer Leute, die mir unablässig unter die Nase gehalten werden, auf dass ich sie annehme oder verwerfe. …

Müde bin ich auch der Zumutung, mir fortwährend eigene Meinungen bilden zu müssen. …

Meinungen dulden keine Meinungen mehr neben sich. Zugleich werden unsere Meinungen bei jeder Gelegenheit abgemolken. Essen, Urlaub, Sex, Literatur. Jede Frage ist eine Gretchenfrage. Es ist inzwischen fast unmöglich, zu einem beliebigen Sachverhalt keine Meinung aus dem Ärmel zu schütteln – die dann wiederum einer kritischen Bewertung unterzogen, beurteilt oder verurteilt wird.

Wer einen Grund für gesellschaftliche Spaltungen oder Zersplitterungen sucht, der könnte hier fündig werden. In Gullivers Reisen entzündet sich der Krieg zwischen Liliput und Blefuscu an der Frage, ob das Ei am spitzen oder stumpfen Ende aufzuschlagen sei. Allzu weit sind wir von dieser Satire nicht entfernt.

Heute ist es nicht die Zudringlichkeit der Welt an sich, die uns unter Stress setzt. Es ist der allseitige Zwang, rund um die Uhr, sich eine Meinung zu ihr zu bilden. …

[Die] spielerische Gelassenheit … [ist] verloren gegangen … Heute herrscht von links wie rechts ein übergriffiges Bescheidwissertum, ein resolutes ‘Ich meine, du auch meine – sonst blocke ich dich, entfreunde dich, schneide dir mit einem Küchenmesser die Kehle durch!’

Das ermüdet. …

Wer aber eine Haltung hat, der braucht im Prinzip überhaupt keine Meinungen. Er hat eine Haltung zur Welt, der er nicht fortwährend durch das Freilassen von Kampfhähnen beizukommen versuchen muss. Wer eine Haltung hat, ist durch abweichende Meinungen nicht zu kränken oder zu reizen. Ich meine, du deine.

Es könnte sogar sein, dass eine gut begründete Meinung ihn überzeugt. Was eine echte Haltung ist, das wäre dadurch nicht zu erschüttern.

Und manchmal ist es angebracht, eine Runde zu schlafen. Guten Gewissens. Unserer Gesundheit, aber auch jener der Gesellschaft zuliebe. … Meinungsfreiheit beinhaltet auch die Freiheit, einfach mal keine Meinung zu vertreten oder, umgekehrt, unerhebliche Meinungen … gar nicht erst zur Kenntnis zu nehmen. Hin und wieder haben wir Wichtigeres zu tun.”

aus: Arno Frank: Ich bin so meinungsmüde, taz futurzei, 08.12.20, im Internet.

Abb.: Nazjil Layin: Untitled, 2012, indoartnow, im Internet.

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31/01/2021 (12:59) Schlagworte: DE,Lesebuch ::

Vertrauenswürdigkeit

(Adrian Piper, «The Probable Trust Registry: The Rules of the Game #1–3» (2013). E. Frossard/Adrian Piper Research Archive Foundation Berlin)

Das Werk besteht aus drei schiefer­grauen Wänden, vor denen goldene Rezeptions­theken platziert sind und auf denen jeweils ein Satz in goldenen Lettern steht: «Ich werde immer zu teuer sein, um gekauft zu werden», «Ich werde immer meinen, was ich sage» und «Ich werde immer das tun, was ich sage» («The Probable Trust Registry: The Rules of the Game #1–3», 2013).

Die Besucher können an diesen drei Rezeptionen einen Vertrag unterschreiben, in dem sie sich verpflichten, sich an eines, zwei oder alle drei dieser Versprechen zu halten. Nach dem Ende der Ausstellung erhält jeder Unterzeichnende eine Liste aller anderen Unter­zeichner, allerdings ohne Kontakt­informationen, die nur mit Einverständnis der anderen Partei heraus­gegeben werden.

aus: Adrian Piper, zitiert durch Jörg Heiser: Eine hässliche Geschichte aus dem liberalen Amerika, Republik (Zürich) 15.02.2020, im Internet

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28/01/2021 (15:17) Schlagworte: DE,Lesebuch ::

Aufrichtigkeit 1

“Ich habe unzählige Kollegen und ehemalige Freunde beschämt, in Verlegenheit gebracht oder vor den Kopf gestossen, […] weil ich voraussetzte, dass ich ihrem Wort – wie einst dem meiner Eltern – trauen konnte. Ich brauchte Jahrzehnte, bis ich kapierte, was das Problem war: Da ich in einem Umfeld aufgewachsen war, in dem die Menschen meinten, was sie sagten, fehlte mir die Fähigkeit, zwischen aufrichtigen Äusserungen und lediglich höflichen oder diplomatischen Floskeln zu unterscheiden.”

aus: Adrian Piper, zitiert durch Jörg Heiser: Eine hässliche Geschichte aus dem liberalen Amerika, Republik (Zürich) 15.02.2020, im Internet

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28/01/2021 (14:58) Schlagworte: DE,Lesebuch ::

Kennis 1

“Empiristen dachten … dat kennis van buiten kwam, door de ervaringen. Maar dan is het probleem dat we nooit algemeen geldige uitspraken zouden kunnen doen. Het beroemde biljartballenvoorbeeld van Hume illustreert dit: ik zie biljartbal A naar biljartbal B rollen, en daarna rolt bal B weg. Maar ik kan niet concluderen dat de botsing van A het rollen van B veroorzaakt. Veroorzaking zit niet in de ervaring.

Kant beantwoordt de vraag ‘hoe is kennis mogelijk’ door het hele idee om te draaien. Net als Copernicus, die stelde dat niet de zon om de aarde, maar de aarde om de zon draait. Zo zei Kant: we richten ons verstand niet naar de werkelijkheid, de werkelijkheid richt zich naar ons verstand. Daarmee bedoelt hij dat wij een bepaalde structuur opleggen aan de werkelijkheid, die er dus niet als zodanig, in zichzelf in zit. Die structuur maakt deel uit van ons kenapparaat. Wij kunnen de werkelijkheid niet anders zien dan gestructureerd door oorzaak en gevolg. Of gestructureerd in ruimte en tijd. Ruimte en tijd zitten niet daarbuiten, maar hierbinnen, en alle dingen die wij waarnemen hebben die structuur. Dat stelt ons in staat om algemeen geldige uitspraken te doen, tussen ons mensen, want we hebben allemaal de rede en ervaren daardoor op dezelfde manier. Hiermee doorbrak Kant de patstelling waarin het denken over kennis was geraakt.’

aus: Toske Andreoli: De vijf beste ideeën van Immanuel Kant volgens Thomas Nys. De Groene Amsterdammer, 24 nov 2014, im Internet.

01/21

14/01/2021 (10:53) Schlagworte: Lesebuch,NL ::