MALTE WOYDT

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Faschismus

“Faschismus ist im Kern ein Regelwerk für den Kampf. Jeder ideologische Quadratzentimeter des Faschismus, die Helden- und Führerverehrung, die Anbetung der Stärke, der damit einhergehende Hass auf alles Schwache, die Übervereinfachung der Welt, der oft antiintellektuelle Irrationalismus, die Ablehnung der Vielfalt, Meinungspluralität und -freiheit, der Nationalismus, der Traditionenkult und so fort: Faschismus verwandelt eine Gesellschaft in eine Kampfmaschine. …

Der Kampf des heutigen, modernen Faschismus gilt einem vermeintlichen Feind im Innern, nämlich der freien, vielfältigen und offenen Gesellschaft. Also dem präzisen Gegenteil des rassistischen, antisemitischen Patriarchats. Dessen Wiedererrichtung ist das Ziel der heutigen faschistischen Bewegungen. …

Italien war in Europa sehr früh und heftig von der Coronapandemie betroffen, … [weshalb] zeitweise sehr harte Coronamaßnahmen ergriffen wurden, unter denen wiederum die Gesellschaft sehr litt. …

Viele Maßnahmen-Gegner taumelten … zwischen Coronaleugnung, Impfgegnerschaft und Verschwörungstheorie umher. Dann tat sich ein für manche verlockendes Angebot auf, das direkt auf dem faschistischen Hass auf Schwache basierte. Die Abschaffung aller Maßnahmen hätte schließlich ‘nur’ die Schwachen getroffen. Plötzlich entstand eine Coronaquerfront aus Bürgerlichen und Faschisten, die … sich darin trafen, dass sie für die Wiederherstellung ihres eigenen, normalen Alltags das Leben von Schwächeren zu opfern bereit waren. Die ‘Stärkung’ des ‘Volkes’ durch ‘Entfernung’ der Schwachen  …”

aus: Sascha Lobo: Das Land ist hoffnungsvoll verloren, Spiegel online, 28.9.22, im Internet Externer link-symbol

09/22

29/09/2022 (17:25) Schlagworte: DE,Lesebuch ::

Arts 3

“Je pourrais dire que la littérature nous aide à mieux saisir les ‘autres’, tandis que la peinture le fait pour les ‘choses’.”

aus: Pol Bury: Les caves du Botanique. Bruxelles: Les Éditions du Botanique 1986, S.90.

09/22

25/09/2022 (1:01) Schlagworte: FR,Lesebuch ::

Markets 2

“Thinktankers’ … worldview has a religious quality: ‘Those rich people are simply better than us; they exist in a state of grace. Why question it, when it’s so obvious?’ It would be easier to counter if they said it out loud but they never talk about ‘rich people’, only ‘markets‘.

And when they say ‘state‘, of course, they mean us. They plan to shrink us, our opportunities, our lives. Don’t underestimate them. You don’t have to be competent … to make a hell of a mess.”

aus: Zoe Williams: They love the super-rich and want to slash the welfare state: meet the new team at No 10, The Guardian online, 19.9.22, im Internet Externer link-symbol

09/22

19/09/2022 (19:26) Schlagworte: EN,Lesebuch ::

Winnetou

“Was ist das für ein Land, in dem man nicht einmal mehr sagen darf, dass man als Kind gerne Indianerhäuptling geworden wäre? …

Sind die Karl-May-Indianer nicht primär eine Fantasieschöpfung, an der ihre Erschaffer ebenso viel (oder ebenso wenig) Eigentumsrechte besitzen wie die indigenen Bewohner Nordamerikas, die sich ja nicht umsonst in den Apachen und Komantschen aus den Winnetou-Romanen nicht wiedererkennen? … Gerade Fantasiebilder können  [allerdings] in ihrer Erschaffung und Fixierung von Stereotypen einen rassistischen oder sonst wie diskriminierenden Charakter besitzen. …

Natürlich zeigt sich im ‘Wunsch, Indianer zu werden’ zunächst auch der Wunsch danach, einer Kultur anzugehören, die ursprünglicher, naturverbundener, authentischer scheint als die eigene. In der Karl-May-Version der Winnetou-Figur kommt dieser Wunsch überdeutlich zum Ausdruck. …

Zugleich ist es kein Zufall, dass sich die Begeisterung der deutschen Gesellschaft für … Winnetou … gerade in den ersten Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg entfaltet hat. … Dass die Deutschen sich … [damals] so intensiv mit der Figur des Indianers identifizieren, liegt … auch daran, dass jenes Volk, das gerade erst selber einen Genozid an den europäischen Juden vollzogen hat, aus der Rolle der Täter in die der Opfer hinüberzuwechseln versucht.  Wobei die guten Cowboys … bei Karl May ja immer Deutsche im Ausland sind, die hier nun als strahlende Helden den bedrängten Indianern beistehen, als ‘white saviours’, wie man heute sagen würde. … Man befindet sich … auf der richtigen Seite der Geschichte. …

[Doch] in dieser ‘ethnischen Appropriation‘ … ist … noch etwas anderes versteckt, … was die Faszination mit den Indianern eigentlich erst interessant macht. … In der westdeutschen Provinz der 1970er Jahre war es völlig selbstverständlich, dass Jungen kurze und Mädchen lange Haare trugen, dass Mädchen sich – manchmal – schminken, Jungen hingegen nie. Wer als Junge lieber lange Haare trug und sich eventuell sogar einmal mit dem Nagellack seiner Schwester die Fingernägel lackierte, befand sich sofort in der Position des verspotteten Außenseiters – es sei denn, er rechtfertigte diese Praxis dadurch, dass er eben in ein Indianerkostüm schlüpfte. … Indianerkostüme … [waren] Kostüme der geschlechtlichen Transgression. …

Nicht nur die Karl-May-Freunde … kostümierten sich als ‘Indianer’, sondern auch die Hippies in aller Welt. … Die antiimperialistische Linke identifizierte sich bevorzugt mit den Befreiungskämpfen ‘einfacher’, unentfremdeter Völker aus den Regenwäldern und Wüsten der ‘Dritten Welt’. Das beliebteste Fashion item in dieser Zeit war das sogenannte Arafat-Tuch. … Arafat [war] der Winnetou der linken Alternativkultur. …”

aus: Jens Balzer: Ethik der Appropriation. Berlin: Matthes & Seitz 2022, S. 11, 15, 60-63, 78

Abb.: August Macke: Indianer auf Pferden, 1911, Lenbachhaus, hier Wikimedia, im Internet.

09/22

15/09/2022 (23:26) Schlagworte: DE,Lesebuch ::

Kulturelle Aneignung 2

“‘… Das weiße Amerika … – Wann immer sie sich eine Form der Schwarzen Kultur wieder einverleibt hatten, versuchten sie die Präsenz schwarzer Menschen in ihr zu tilgen. In den Zwanzigern wurde Paul Whiteman zum ‘King of Swing’ gekrönt, in den Dreißigern Benny Goodman zum ‘King of Jazz’, in den Fünfzigern erschien Elvis Presley als ‘King of Rock ‘n’ Roll’, in den Sechzigern wurde Eric Clapton zum König der Blues-Gitarre gekrönt.’ [Greg Tate: Everything But the Burden 2003]. Und als das Buch von Greg Tate erschien, da hatte gerade ‘der nächste White Negro’ die Bühne betreten: Der Rapper Eminem wurde zum erfolgreichsten Hip-Hop-Künstler der USA…

Die Angehörigen einer herrschenden, ökonomisch bessergestellten Mehrheitskultur beuten kulturelle Errungenschaften einer rassistisch diskriminierten, ökonomisch schlechtergestellten Minderheitenkultur aus. Sie nehmen damit den ursprünglichen Urhebern die Möglichkeit, selber angemessen von ihrer Kunst in ökonomischer Hinsicht zu profitieren; so verwandelt sich die Aneignung in eine Enteignung …

[Man erzählt] die Musikgeschichte als eine Kette von Innovationen weißer Superstars …, obwohl alle wesentlichen Innovationen in der US-amerikanischen Musikgeschichte von schwarzen Menschen stammen; …

[Public Enemy begegnet]  der Appropriation schwarzer Musik durch weiße Menschen … mit einer ‘counter appropriation’; sie eignen sich eine von der weißen Hegemonie unsichtbar gemachte Tradition wieder an, indem sie ihre Musik mit Zitaten aus dieser Tradition durchsetzen. …

In den Techniken des Samplings … zeigt [sich] … das Ergebnis einer Gewaltgeschichte, einer Geschichte des Zerreißens von kulturellen Traditionen durch die Entwurzelung ihrer Träger und deren Verstreuung über die Welt. Zugleich aber scheint darin die Erkenntnis auf, dass es kein Zurück hinter diesen Zustand der Entwurzelung gibt … [und] die Vorstellung, dass es so etwas wie kulturelle Reinheit geben könnte, ganz auf die Seite der Kolonialisten gehört. …

‘Counter appropriation’ … verwandelt die historische Erfahrung … der Entwurzelung in die Erkenntnis, dass jede Kultur schon immer heterogen ist – während der Glaube an kulturelle Homogenität und Reinheit sich nur in solchen Kulturen entwickelt, die aufgrund ihrer politischen und ökonomischen Macht .. sich selbst für den Ursprung und das Maß aller Dinge halten. Dass es möglich oder wünschenswert sein könnte, nicht zu appropriieren: Das ist eine Signatur kolonialistischer Selbstverkennung. …

Afrika Bambaataa & Soulsonic Force … durchqueren kulturelle Traditionsfelder, um Gemeinsamkeiten zwischen marginalisierten Gruppen … in deren Bewusstsein zu bringen – zugunsten eines gemeinsamen, solidarischen Kampfes gegen die rassistische Diskriminierung. … Hip-Hop [ist] der Prototyp einer postmodernen Kunst. Er bedient sich bei allem, was ihm zur Verfügung steht. …

Der postkoloniale Theoretiker Edouard Glissart …: ‘Keine Kultur ist heute isoliert von den anderen. Es gibt keine reinen Kulturen, das wäre lächerlich”. …

Wenn Kultur nichts ist, das sich von jemandem besitzen lässt, dann kann sie auch niemandem geraubt werden: ohne Eigentum keine Enteignung. …

Eine Praxis der Appropriation die diese Hybridität und die ambivalente Verfasstheit jeglicher kultureller Identität sichtbar macht, ist eine im ethischen Sinn gute Appropriation. Eine schlechte Appropriation ist hingegen jede, die scheinbar vorgegebene Identitäten hinnimmt und verfestigt, die bestehende Machtverhältnisse ästhetisch ausnutzt und damit politisch zementiert. …

Wer sich dergestalt [mit Verbotsforderungen] zum Fürsprecher marginalisierter Gruppen erhebt, … drängt diese indes … nicht nur unweigerlich in die Position schwacher Opfer ohne eigene Handlungsfähigkeiten. … In ihrer unreflektierten (Verbots-)Variante ist die Kritik der Appropriation dem hegemonialen Diskurs der neoliberalen Fragmentierung und Entsolidarisierung näher, als sie es sich eingestehen will. …”

aus: Jens Balzer: Ethik der Appropriation. Berlin: Matthes & Seitz 2022, S. 29-31, 34, 37, 39-41, 47, 51, 53, 56, 82

Abb.: Michael Cook: Broken Down (Fake #10), 2023, Harper’s Bazaar 2023, im Internet.

09/22

15/09/2022 (0:49) Schlagworte: DE,Lesebuch ::

Grüne 2022

“Bei den Grünen, die schon länger keine linke Partei mehr sind, erschien er [Ströbele] immer mehr als Relikt aus einer Vorzeit, die mit dem Jetzt nicht mehr viel verband. Das neue grüne Bürgertum ist geschmeidiger und anpassungsfähiger. Die neuen grünen Bürger misstrauen der Macht nicht mehr, sie sind auf eine unheimlich selbstverständliche Art mit ihr vertraut und verschmolzen. Die Skepsis gegenüber Staat und Kapitalismus, die den linken Bürger Ströbele antrieb, gilt ihnen als altmodisch und vorgestrig. Sie sind flexibler, weniger deutsch, nicht so protestantisch ernst wie Ströbele. Das linke Bürgertum, dessen Motor Protesten­ergie war, verschwindet von der Bühne.”

aus: Stefan Reinecke: Ein liberaler Radikaler. Taz online, 3.9.22, im Internet Externer link-symbol

09/22

03/09/2022 (22:31) Schlagworte: DE,Lesebuch ::