MALTE WOYDT

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Drohnen

“Drohnen … Ihr Einsatz stellt die bisherigen Kriegsordnungen auf den Kopf, denn gegenüber einer Drohne kann man sich nicht ergeben. Zum Krieg aber gehört die Chance, als Kämpfer die Waffen abzulegen und zum Zivilist zu werden.”

aus: Herfried Münkler: Zeitalter der neuen Kriege, Süddeutsche Zeitung, 2./3.1.2016, S.32

Abb.: Heri Dono: Smiling Angels from the Sky, artjog 2021, oumagz, im Internet.

01/16

19/01/2016 (13:30) Schlagworte: DE,Lesebuch ::

SPD 1987

“Wie tritt man einer Partei auf die Füße, die auf dem Kopf steht? Es ist schwierig im Moment, die Füße zu orten.”

aus: Günter Grass: Die Klampfen nehme ich in Kauf. Im Gespräch mit Jörg Fauser und Werner Mathes. Hier in: Günter Grass: Gespräche, Bd. 10 der Werkausgabe in zehn Bänden, Darmstadt: Luchterhand 1987: S. 290. (ursprünglich: tip magazin 1/82, Berlin).

01/16

13/01/2016 (12:41) Schlagworte: DE,Lesebuch ::

Interpretationssucht

Literatur in deutschen Schulen ist … eigentlich immer ein Alptraum gewesen. Früher war das alles von rechts gefüttert, dann kam die Phase von links, aber in den Grundverhaltensweisen hat sich leider nichts geändert: es herrscht die Interpretationssucht. Literarische Texte werden nicht an den Schüler herangebracht, um bei ihm die Lust am Lesen auszulösen, um ihm die Chance zu geben – und sei es mit den verschiedensten Gedanken – sich mit einem Text zu identifizieren, sich selbst zu erleben, sondern um ihn auf eine schlüssige Interpretation hinzuführen. Das tötet die Literatur ab. Literatur ist trotz der deutschen Schule lebensfähig geblieben, aber dies tötet in einem sehr frühen Alter die Lust am Lesen ab. Literatur hat mit Kunst zu tun, es ist eine Kunstform und in erster Linie ästhetischen Gesetzen verpflichtet. Dieses Produkt der Kunst lebt davon, daß es vieldeutig ist, doppelbödig ist und eine Menge von Interpretationen zulassen kann. Es muß erst einmal respektiert werden, daß der, der auf ein Bild, auf ein Buch reagiert, etwas für ihn Wichtiges erlebt. Dies ist erst einmal richtig, auch wenn es sich nicht mit der Interpretation des Lehrers deckt. Und nun kommt das in die Schulmühle hinein, es wird Interpretation gefordert – ob es sich um einen Gedichttext, um die ‘Braut von Messina’ oder Wallraff oder was auch immer handelt: Es wird Interpretation abverlangt. Es ist im Grunde natürlich eine Aufforderung zum Opportunismus, weil die Schüler unter Leistungsdruck versuchen herauszuhören, welche Interpretation ist denn die des Lehrers – um sich der dann anzupassen. …”

aus: Günter Grass: Von morgen bis abends mit dem deutschen pädagogischen Wahn konfrontiert. Hier aus: Günter Grass: Gespräche, Bd. 10 der Werkausgabe in zehn Bänden, Darmstadt: Luchterhand 1987: S. 244-245. (ursprünglich in betrifft: erziehung, 7/8 1980).

Abb.: Marie-Laure Gerard-Becuwe, Titel nicht herausgefunden, 2024 bei Art3F in Brüssel gesehen, Webseite der Künstlerin.

01/16

13/01/2016 (12:22) Schlagworte: DE,Lesebuch ::

Phantasie

“Phantasie … ist die andere Seite der Wirklichkeit. Es ist die Vorstellungswelt, die ja eine sehr reale ist, mit wechselnden Bildern, zwar keine greifbaren, aber dennoch eine reale. Sie ist bei jedem, auch dort, wo sie geleugnet wird. Auch wo sie nur schwach entwickelt ist, ist sie da, und in dem Moment, in dem sie geleugnet wird, beginnt sie sich zu rächen, dann beginnt sie komplex zu werden und sich unterdrückt zu verhalten, aber in dem Augenblick, in dem wir Wirklichkeit erweitern und Phantasie und Einbildung und Vorstellungskraft miteinbeziehen in den Kanon von Möglichkeiten, ist sie legitimiert. Sie ist präsent und kann sich natürlich auch viel freier entfalten, es kommt dann nicht zu Stauungen, es kommt dann nicht zu diesen plötzlichen Ausbrüchen von Irrationalismus, die wir erlebt haben. Es gibt ja genausogut Leute, die sich spiegelverkehrt dazu verhalten, aus der Wirklichkeitsflucht heraus, aus der realen Wirklichkeit, faßbaren Wirklichkeit sich nur noch in Traumwelt, in Einbildungswelt begeben, was aber, wie gesagt, nur ein spiegelverkehrtes Verhalten ist. …

Alle Künste … schaffen, indem sie … [der Phantasie] Form geben … Einbildungskraft; und sie konfrontieren mit der nur enggefaßten, faßbaren Wirklichkeit eine neue Wirklichkeit, eine literarische, eine bildhafte, eine musikalische, eine theatermäßige, die aber dann auch eine solche begriffen werden muß. Wenn wir beginnen, die Wirklichkeit des Theaters auf der Straße zu suchen oder sie auf die Straße zu tragen, dann kommt es zum Kollaps der Bühnenwirklichkeit.”

aus: Günter Grass: Ein Gegner der Hegelschen Geschichtsphilosophie. Gespräch mit Gertrude Cepl-Kaufmann; hier aus: Günter Grass: Gespräche, Bd. 10 der Werkausgabe in zehn Bänden, Darmstadt: Luchterhand 1987, S.112 (Gespräch von 1971, Erstveröffentlichung 1975).

“Sind nicht all die Männlein, die durch unsere Gegenwart turnen und vor lauter Sachzwang keine Kniebeuge mehr machen können, das Phantastischste und Unwirklichste, was es überhaupt gibt? …

[Lenz: Muß die Erfahrung unbedingt vorausgehen?] … Ja, weil das Phantastische zur Wirklichkeit gehört. Ich komme wieder auf meinen alten Begriff ‘bodenlose Phantasterei’ zurück. Es gehören Erfahrungen dazu, sonst wird es bodenlos. Wie wir ja auch umgekehrt im angeblich realen Bereich oft genug Leute erleben, die scheinbar von Fakten reden, aber das Ganze so ideologisch handhaben, daß da dann auch etwas Bodenloses da ist. Man denkt, es ist eine Sprache der Vernunft, die aber bemüht wird mit den alten Wortbegriffen – das plappert sich so weg. Es kann auch im religiösen Bereich sein, irgendein Wort zum Sonntag, das so im christlichen Sprachritual abläuft – aber wenn man genau hinhört, ist es nur noch Blablabla. Es ist weg von der Wirklichkeit, weil die Erfahrung nicht mehr dahintersteht.”

aus: Günter Grass: Phantasie als Existenznotwendigkeit. Gespräch mit Siegfried Lenz; hier aus: Günter Grass: Gespräche, Bd. 10 der Werkausgabe in zehn Bänden, Darmstadt: Luchterhand 1987, S.262-65 (Gespräch von 1981, Radio Bremen; Textfassung 1982).

Abb.: Ben Vauthier: Imaginez autre chose, 1965, im Internet.

01/16

13/01/2016 (12:05) Schlagworte: DE,Lesebuch ::

Ahnung

“Kann schon sein, dass Sie mehr Ahnung haben als ich, aber hier geht es nicht um Ahnungen, sondern um Kenntnisse.”

aus: Gregor Gysi zu Gast beim “Heissen Stuhl”, RTL, 1991, hier in: Worte des Vorsitzenden Gregor Gysi, Berlin: Eulenspiegel 2015, S. 61.

01/16

12/01/2016 (20:49) Schlagworte: DE,Lesebuch ::

Benoemen

“Wie oppert om eerst te begrijpen wat er benoemd zou moeten worden, krijgt automatisch het verwijt iets te ontkennen of te verzwijgen. Het problematische is vooral de bizarre omkering van zaken die hierachter schuilgaat: wie eerst wil weten wat er precies aan de hand is, is de wegkijker – wie aan vijf speculaties en een half Arabisch woord genoeg heeft, díé is de benoemer. Benoemen zonder feiten is zoals kijken met je ogen dicht: daar wordt niemand wijzer van.”

aus: Rob Wijnberg, hoofdredacteur van de Nederlandse site De Correspondent, zitiert in De Morgen, 9.1.15

01/16

09/01/2016 (14:23) Schlagworte: Lesebuch,NL ::

Nutzen

“Nutzen? Soll man denn alles des Mauls und Magens wegen tun? Und macht Erkenntnis der Wahrheit nicht schon an und für sich glückselig? Ist sie nicht die höchste Glückseligkeit? Gehört das Vergnügen, die Freude nicht zu Nutzen?”

aus: Wilhelm Heinse: Ardinghello und die glückseligen Inseln. Berlin: Mörlins: o.J. (Originalausgabe 1787), S. 258, [auch beim Gutenberg-Projekt im Internet]

Abb: Patrick Gualino: L’enrichisseur, 1989, Musé de lArt Brut, Montpellier.

12/15

07/12/2015 (23:11) Schlagworte: DE,Lesebuch ::

Bildungskrisen

“In westlichen Gesellschaften … wurden seit Ende des 19. Jahrhunderts ständig ‘Erziehungskrisen’ beschworen, die also entweder immer da sein müssten oder auf geheimnisvolle Weise nie eintreten. Im ersten Fall wäre die Erziehung gleichbedeutend mit der eigenen Krise, was absurd ist; im zweiten Fall wäre Krise nur ein ständiges Gerede, das allein die Medien beschäftigt. Tatsächlich aber reagieren Erziehungsinstitutionen … auf Krisen immer positiv, also nie achselzuckend oder gleichgültig. Krisen sind dazu da, überwunden zu werden, und Katastrophen dürfen nie wirklich die pädagogische Existenz bedrohen, so dass immer genügend Gewissheit vorhanden ist, die Umkehr zu erreichen und einen neuen Weg einschlagen zu können. …

Alle diese ‘Krisen’ sind mit starken Medieninszenierungen und sehr schwachen Normalitätsannahmen verbunden gewesen, die vor allem ein Thema kannten, angesichts der Situation die rasche Wendung zum Besseren oder eine neue Erziehung, die die alte ablösen sollte. Die Deutung der Krisen wird weitgehend kritiklos übernommen, es werden keine methodologischen oder erkenntnistheoretischen Fragen gestellt, der Fokus auch der wissenschaftlichen Diskussion richtet sich auf Verbesserung der Praxis, deren Defizite festzustehen scheinen. Daher ist der Ausgang der Krise immer ein praktischer:

  • Der Sputnik-Schock [1957] wurde mit Forderungen nach weitreichenden Curriculumrevisionen verbunden,
  • die deutschen Bildungskatastrophe [1964] zog einen Umbau des Bildungssystems nach sich,
  • aus ‘A Nation at Risk’ [1983] entwickelte sich das „Standard-Movement,
  • der ‘Aufbruch in der Bildungspolitik’ [1997] hatte Organisationsreformen zur Folge
  • und PISA [2001] führt zum Aufbau eines zielorienterten Kontrollsystems. …

‘Bildungskrisen’ sind interessierte Konstrukte, sie werden erfunden, um Politik in Gang zu bringen. …

  • Krisenszenarien entwickeln aus Anzeichen Gesamtbilder, die einen Panorama-Blick auf das Ganze des Systems ermöglichen sollen.
  • Der Blick richtet sich von der Gegenwart in die Zukunft, weitgehend unter Missachtung von Erfahrungen der Vergangenheit.
  • Für ihre Erfinder sind Krisen daher nie Wiederholungen, das würde die „Krise“ erheblich abschwächen und unglaubwürdig machen, sondern immer Originale, die dringlich Handlungsbedarf nahe legen.

Bildungskrisen sind spezielle Konstruktionen von ziemlicher Prognoseschwäche. Es sind … pädagogische Aufrufe, die eine bestimmte Situation reflektieren und zumeist stark Zeitgeist gebunden argumentieren. Es sind umgekehrte Kassandra-Rufe, nämlich Warnungen, die gehört werden, obwohl oder weil sie nur Weissagungen sind. …

Alle meine Stichworte … stammen aus Expertendiskussionen, die scheinbar selbstlos auf schwere Krisensymptome reagieren, unmittelbar Abhilfe schaffen wollen und natürlich Interesse habe, dass die Krise möglichst lange dauert oder nach ihrer Bewältigung möglichst schnell eine neue Krise erfunden wird.”

aus: Jürgen Oelkers: “Pädagogik der Gegenwart”, Vorlesung im WS 2002/2003, 20.10.2002, im Volltext im Internet, S.3, 25, 27/28, 53/54, etwas umgestellt.

Abb.: Hendra Hehe: TV eye – TV girl, 2011, indieguerillas, im Internet.

11/15

25/11/2015 (12:07) Schlagworte: DE,Lesebuch ::

Antworten

“Nein. Keiner erwartet eine Antwort. Alles ist bereits Antwort. Keiner fragt, denn keiner weiß, daß man überhaupt fragen kann. Alle sind sie nur mit den Antworten groß geworden, denkt der Lehrer, aber es sind keine Antworten auf Fragen, vielmehr sind es Scheinantworten, sie dienen dazu, der Frage zuvorzukommen, die Frage zu verhindern, sind dazu entworfen, den Willen der Frage im Keim zu ersticken, die Frage so zu verdecken, als gäbe es sie nicht. Zuerst kam die Antwort, so denkt mein Freund, und dann erst die Frage, das steht schon in der Bibel … und als die Frage kam, kam sie wie der Poet zur Verteilung der Güter dieser Erde, zu spät, für sie gab es keinen Platz mehr, so denkt der Lehrer.”

aus: Wolfgang Hildesheimer: tynset, Frankfurt/Main: Surkamp 1965, Seite 136/137

Abb.: Lee Lorenz, The New Yorker, 27.2.1989.

11/15

24/11/2015 (13:05) Schlagworte: DE,Lesebuch ::

Büro

“Möglicherweise wäre alles dasselbe gewesen, wenn er in ein Büro hätte gehen müssen. Wo liegt der Unterschied? In der Regelmäßigkeit? In der Unregelmäßigkeit? Aus einiger Entfernung gesehen kann er tatsächlich erscheinen wie ein Tier mit regelmäßigen Gewohnheiten. Würde er im Büro nicht Verabredungen nur deshalb treffen, weil sie die Bürozeit unterbrechen? Würde er nicht abends länger bleiben, um eine Entschuldigung zu haben, morgens später zu kommen? Er hatte manchmal das Objektivierende eines Büros mit einem gewissen Neid betrachtet. Die Möglichkeit, nicht länger man selbst, sondern ein ersetzbarer Einrichtungsgegenstand zu sein.”

aus: Helmut Heißenbüttel: D’Alembergs Ende. Neuwied/Berlin: Luchterhand 1970, S.69

Abb.: Claudia Wirth: Open Space, 2023, Ausstellung Kunstpreis der Nürnberger Nachrichten 2024.

11/15

20/11/2015 (0:11) Schlagworte: DE,Lesebuch ::
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